Mythor - 042 - Schattenjagd
besorgt. Er hatte von Anfang an gemerkt, dass es Ganif aus irgendeinem Grund auf Mythor abgesehen hatte.
»Was, befürchtest du, könnte Ganif vorhaben?« erkundigte er sich.
»Ich habe keine Ahnung, ich weiß nur, dass irgend etwas passieren wird«, sagte Harmod. »Und ich weiß, dass ich es nicht zulassen darf.«
»Was könnte man dagegen tun?« fragte Sadagar hoffnungsvoll. »Hast du einen Vorschlag?«
Harmod kaute schweigend an seinen Lippen, bis er schließlich sagte: »Eigentlich habe ich erwartet, dass von dir ein Vorschlag kommt.«
Sadagar musste grinsen, und er schlug dem Moronen auf die Schulter. »Ich hätte da schon eine Idee, und ich bin schamlos genug, sie dir zu unterbreiten«, erklärte er. »Wenn mir ein Diromo zur Verfügung stehen würde, etwa Flussgeist, und jemand, der es führen kann, dann würde ich nicht zögern, Mythor zu befreien und mit ihm zu fliehen. Würdest du mir dabei helfen, Harmod?«
»Seltsam, dass ich diese Frage erwartet und mir bereits in allen Einzelheiten einen Fluchtplan zurechtgelegt habe«, meinte Harmod schmunzelnd. »Er ist so einfach, dass er nicht schiefgehen kann. Wir müssen nur erst einmal Kor-Yle in sein Versteck außerhalb des Lagers bringen und dann…«
*
Wenn Mythor die Augen schloss, glaubte er immer noch, in der Strömung der Strudelsee zu treiben und von den Wellen hin und her geschaukelt zu werden. Dabei lag das alles schon einige Tage zurück. Dazwischen lag die Fahrt auf der Lichtfähre Halmash, wo er sich einigermaßen erholen konnte, bevor Gonned ihn an die Ruderbank kettete. Und wie weit es auch zurücklag, manchmal träumte er noch davon, in einen Ledersack eingenäht in der Strudelsee zu treiben und von einem dämonischen Schatten bedrängt zu werden. Von einem Schatten, den der Schutzgeist Sadagars, der Kleine Nadomir, einen Deddeth genannt hatte.
Wie wenig hatte es ihn dagegen beeindruckt, dass man ihn an einen Pfahl kettete, weil er dem Gefangenen Wasser und Schatten gespendet hatte.
»Wie ist dein Name?« fragte Mythor in die Dunkelheit des Zeltes hinein, in die Richtung, in der er den Rafher wusste. Es raschelte, als sich der dunkelhäutige Jüngling mit der helleren und von der Sonne geröteten Gesichtshälfte auf die andere Seite herumdrehte.
»Geht es dir besser?« erkundigte sich Mythor. Er bekam keine Antwort, und er hatte auch keine erwartet. Er durfte nicht glauben, dass der Rafher sofort Vertrauen zu ihm hatte, nur weil er ihm Wasser gereicht hatte. In seiner Lage konnte er dies leicht für arglistige Täuschung halten – überhaupt jetzt, da man es ihm ersparte, weiterhin am Pfahl schmachten zu müssen.
»Du brauchst mir nicht zu antworten«, sprach Mythor wieder, »wenn dir nicht danach ist. Aber du sollst wissen, dass ich keine Hintergedanken hatte, als ich…«
Mythor verstummte, als am Eingang des Zeltes ein Geräusch erklang. Gleich darauf wurde die Zeltplane zurückgeschlagen, und eine Gestalt in einem Burnus erschien in der Öffnung. Im Hintergrund war der flackernde Schein der Lagerfeuer zu sehen. Mythor musste den Mann für einen der Wachtposten halten, der sich davon überzeugen wollte, dass mit den Gefangenen alles in Ordnung sei.
Ihm lag eine ätzende Bemerkung auf der Zunge, doch bevor er sie loswerden konnte, erklang eine bekannte Stimme. »Still! Ich bin es!«
»Sadagar!« entfuhr es Mythor. »Reitet dich ein Dämon, dass du hier eindringst? Das kann dich Kopf und Kragen kosten.«
»Harmod hat die Wache abgelenkt«, erklärte Sadagar flüsternd und warf Mythor ein Bündel zu. »Da, zieh den Burnus an. Wir fliehen.«
»Harmod?« wunderte sich Mythor. »Wie kommt er dazu, uns zu helfen?«
»Stell jetzt keine Fragen!« sagte Sadagar hastig. »Wir haben ein Diromo und Harmod, der mit diesem Schnabelungeheuer umgehen kann. Alles andere zählt im Augenblick nicht. Beeile dich!«
Mythor schlüpfte in den Burnus und stülpte sich die Kapuze über den Kopf. Dann zögerte er. »Wir können nicht ohne den Rafher gehen«, sagte er bestimmt. »Ganif würde ihn früher oder später töten. Wenn wir fliehen, nehmen wir ihn mit.«
Sadagar seufzte. »Ich habe mir so etwas Ähnliches gedacht und Harmod gegenüber eine Andeutung gemacht. Er war nicht begeistert davon, den halbtoten Rafher mitzunehmen. Andererseits kennt er vermutlich das Land besser als jeder andere und… Aber was rede ich da.« Er wandte sich dem Rafher zu und fragte: »Freundchen, kannst du laufen?«
»Er ist zu schwach dazu«, erklärte Mythor.
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