Mythor - 100 - Die Tochter des Kometen
verkündete.
Die Amazonen kamen neugierig näher und versammelten sich um das Bugkastell, um dem Schauspiel beizuwohnen. Es bildete sich eine schmale Gasse, als Jente von Oscuse und Kokura gebracht wurde. Sie entblößten ihr den Oberkörper und banden sie an das hölzerne Einhorn des Buges.
Lexa hob die siebenschwänzige Peitsche und begann mit der Bestrafung. Sie schloß dabei die Augen und verspürte tief in ihrem Innern einen Schmerz, als würde die Peitsche sie selbst treffen. Als sie fertig war, hatte Jente die ganze Zeit über keinen einzigen Laut von sich gegeben, und das erfüllte Lexa ein wenig mit Stolz.
Die Peitsche in der Hand, wandte sie sich den versammelten Amazonen zu. In den meisten Gesichtern las sie Mißbilligung und Verständnislosigkeit. Als sie den Blick mit Burra kreuzte, spuckte die Amazone aus und wandte sich ab.
Plötzlich zerriß ein schriller Schrei die Stille, dem ein zweiter folgte. Alle Köpfe wandten sich in diese Richtung, um nach der Ursache der Schreie zu sehen.
Ihnen bot sich ein beklemmender Anblick. An der Stelle, wo die Hermexe in den Seilen verankert war, zeigte sich ein doppelt so großes Gebilde, über dessen verbeulter Oberfläche grünliche Flammen huschten. Sertina und Ambule, die die Hermexe bewachen sollten, wurden durch unerklärliche Kräfte von der Plattform geschleudert und landeten in der Menge. Sie rissen einige Amazonen mit sich zu Boden und blieben benommen liegen.
»Die Hermexe birst!« rief jemand und löste damit einen Tumult aus. Im Nu war das Deck unter der Hermexe geräumt, Sertina und Ambule wurden aus dem vermeintlichen Gefahrenbereich gezerrt. Die Amazonen wichen so weit zurück, bis ihnen die Bordwand und die Deckaufbauten den Weg versperrten. Die meisten hatten ihre Waffen gezückt, als könnten sie sich damit gegen die Kräfte wehren, die sie aus der Hermexe bedrohten.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Die Dämonen versuchen, aus ihrem Gefängnis auszubrechen.«
Lexa starrte auf ihre noch immer reglose Tochter hinunter, deren Rückenwunden von Oscuse und Kokura behandelt wurden.
»Solange das Böse in uns ist«, sagte sie bitter, »haben die Dunkelmächte Macht über uns. Züchtigung ist Reinigung. Nur so können wir das Böse austilgen.«
Ein Aufschrei ging durch die Amazonen, als sich die Hermexe wieder aufblähte. Eine Feuersbrunst aus grünen Flammen huschte über ihre verformte Oberfläche, gleich darauf jagten dunkle Schatten über sie. Eine Weile ging das Toben der unerklärlichen Kräfte mit unverminderter Heftigkeit weiter, ohne daß das für die Besatzung und das Schiff selbst irgendwelche Folgen gehabt hätte.
Doch gerade als das unheimliche Wechselspiel von grünen Flammen und wirbelnden Schatten allmählich abebbte und die Amazonen sich wieder entspannten, ging ein Ruck durch die Luscuma.
Im selben Moment meldete sich die Steuerhexe auf jene lautlose Art und Weise, die alle hören konnten.
Ich bin das Einhorn. Ich bin das Schiff. Ich fliehe die unheilbringenden Finstermächte.
Ein neuerlicher Ruck ging durch das Luftschiff, der die meisten Amazonen von den Beinen riß, und unter Geheul und Getöse wurde die Luscuma von orkanartigen Kräften fortgerissen in einen finsteren Tunnel wirbelnder Gewitterwolken.
*
Lankohr und Heeva waren so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, daß sie von den Geschehnissen an Deck nichts mitbekamen. Sie waren im Hochstand mit der Riesenarmbrust gewesen, der hinter dem Fischkopf des Gasballons aufragte, und befanden sich gerade auf dem Abstieg durch die Wanten, als die Wächterinnen der Hermexe von der Plattform geschleudert wurden.
»Was hat das zu bedeuten?« erkundigte sich Lankohr bei seiner Gefährtin, als er sah, wie sich die Hermexe aufblähte und grüne Flammenzungen und formlose Schatten über ihre pulsierende Oberfläche jagten.
»Schwarz-magisches Wetterleuchten«, erklärte Heeva leichthin und fügte hinzu: »Es besteht kein Grund zur Besorgnis. Aber wir sollten trotzdem versuchen, die ausschlagenden Kräfte einzudämmen.«
»Wir?« fragte Lankohr und schluckte. »Ich fürchte, du überschätzt meine Fähigkeiten. Meine magischen Kenntnisse halten sich in Grenzen.«
»Du bist nicht allein«, sagte Heeva zärtlich und ergriff seine Hand. »Wir ergänzen einander ausgezeichnet. Gemeinsam sind wir stark.«
Lankohr war gerührt. Heeva ließ es ihn nie merken, daß sie ihm in magischen Belangen himmelhoch überlegen war. Aber sie hatte schon recht, daß er an ihrer Seite über
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