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Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doug Sounders
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neuen Heimatlandes angepasst sind. Für viele Menschen sind Minarette und Kopftücher die einzigen bedeutsamen Elemente von »Kultur«, und das bloße Vorhandensein dieser Dinge gilt ihnen geradezu als Definition des Multikulturalismus. Oft trifft das selbst dann noch zu, wenn sich zu diesen Minaretten auf einträchtige Weise noch Synagogen, orthodoxe Kreuze und hinduistische oder buddhistische Tempel gesellen. Diese Angst vor religiösen Unterschieden scheint in den Ländern am ausgeprägtesten zu sein, deren Geschichte von Konflikten zwischen zahlreichen Religionen und Konfessionen innerhalb der Landesgrenzen wesentlich geprägt wurde. Zu diesen Ländern zählen unter anderem auch Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten. Die unterschwellige Furcht richtet sich nicht darauf, dass dem Gemisch eine weitere Religion hinzugefügt wird, sondern geht davon aus, dass mit dieser besonderen Religion eine völlig andersartige und mit den bisherigen Verhältnissen unvereinbare Moral ins Land kommt. Aber die Präsenz vieler verschiedener Religionen steht natürlich nicht für Multikulturalismus, sondern für religiösen Pluralismus. Und der bedeutet keineswegs die Ablehnung der Kultur oder Moral des Aufnahmelandes und kann ohne Weiteres im Rahmen einer einzelnen mehr oder weniger einheitlichen Kultur existieren, wie das in den meisten westlichen Ländern geschieht.
    Die Einwanderer wollen nicht in Parallelgesellschaften ghettoisiert werden, und ebenso wenig haben sie ein Interesse daran, sich an eine homogene, erstarrte, »westliche« kulturelle Identität zu assimilieren. Das gilt besonders für moderne Länder mit fortgeschrittener Verstädterung, in denen der nicht eingewanderte Teil der Bevölkerung die eigene Kultur auch ohne Anweisungen von oben immer wieder von Neuem erfindet. Die Kinder von Einwanderern wollen fast ausnahms los die Sprache ihres neuen Heimatlandes lernen, sie wollen an den demokratischen Institutionen teilhaben, an den Bildungseinrichtungen erfolgreich sein und ihren Platz im Wirtschaftsleben finden. Aber man sollte keineswegs erwarten, dass sie die Verbindungen zum Herkunftsland vollständig kappen, ihre Esskultur und ihre Feste, ihre ethnische Identität oder ihren religiösen Glauben aufgeben. Diese Bindungen werden im Allgemeinen schwächer werden, das Alltagsleben wird sich dem angleichen, was in der neuen Heimat üblich ist (Muslime befolgen, wie wir gesehen haben, religiöse Vorschriften so konsequent oder inkonsequent wie ihre christlichen Nachbarn), aber die Bindungen werden niemals völlig verschwinden. Die katholischen und osteuropäisch-jüdischen Einwanderer, die im 20. Jahrhundert westwärts zogen, verbrachten zwei oder drei Generationen in überaus religiösen, abgeschotteten, bildungsmäßig und geo grafisch segregierten Gemeinschaften, bevor sie sich nach und nach mit der übrigen Bevölkerung vermischten. Nur wenige von ihnen, zum Beispiel die orthodoxen Juden in Brooklyn und Nord-London, schotten sich aus religiösen Gründen weiterhin bewusst ab und leben »parallel«, die überwiegende Mehrheit hat sich in die sich beständig wandelnde Gesamtgesellschaft integriert, wenn auch nicht vollständig assimiliert.
    Wir sollten das Wort Multikulturalismus ebenso aufgeben wie das Wort Assimilation; mit beiden Begriffen verbindet sich die Existenz einer monolithischen, vorgegebenen Kultur, die man entweder verkörpert oder ablehnt. In Wirklichkeit gibt es – wie wir das zu Hause, auf der Straße, am Arbeitsplatz und in der Schule erleben – keine feste und unveränderliche Sache, die man als »Kultur« bezeichnet, sondern eine vielfältige und sich ständig verändernde Praxis, die auf einem im Großen und Ganzen zustimmungsfähigen gemeinsamen Bestand von Werten und respektierten Institutionen beruht. Wenn eine »Kultur« verteidigt oder durch die Politik definiert werden muss, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass sie veraltet ist – ob es sich nun um die verknöcherte »islamische Kultur« handelt, wie sie von den konservativen und radikalen Kräften unter den Einwanderern verherrlicht wird, oder um die zur Karikatur gewordene, christianisierte »westliche Kultur«, die von manchen einwandererfeindlichen Stimmen in Nordamerika und Europa so gerühmt wird.
    Kulturen können sich verändern, ihre Tätigkeitsbereiche vielseitig gestalten und neue Gemeinschaften aufnehmen, ohne den eigenen moralischen Kernbestand aufzugeben. Unsere Werte und Institutionen sind

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