Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doug Sounders
Vom Netzwerk:
für einen jeweils sehr kurzen Zeitraum in die politische Praxis umgesetzt worden und fand dabei nur sehr wenig Unterstützung unter Einwanderern. Sehr viele Einwanderergruppen, und hier vor allem die Muslime, von denen viele vor den Bedrängnissen ihrer Herkunftskultur geflohen sind oder kein Interesse daran haben, mit Muslimen aus anderen Kulturkreisen einer konstruierten einheitlichen »Gemeinschaft« zugeordnet zu werden, sind in Wirklichkeit entschiedene Gegner des Multikulturalismus. Indonesier und Araber haben außerhalb der Moschee nahezu nichts gemeinsam. Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen Einwanderern haben zum Beispiel ans Licht gebracht, dass muslimische Einwanderer vom indischen Subkontinent lieber mit Hindus und Sikhs von »zu Hause« Umgang pflegen als mit arabischen oder türkischen Muslimen. Auf jeden Einwanderer, der in der Religion eine personenübergreifende Identität findet, kommt ein anderer, der sich dadurch eingeschränkt fühlt. Die meisten muslimischen Einwanderer haben, wie bereits gezeigt, ein starkes Bedürfnis, von den Institutionen ihres Aufnahmelandes als vollkommen gleichberechtigte Mitbürger anerkannt zu werden. Für solche Menschen klingt das Wort »Multikulturalismus« deshalb oft wie eine Einladung zu einer Identität zweiter Klasse.
    Muslimische Kommentatoren, die den Multikulturalismus verwerfen , finden sich deshalb in den meisten westlichen Ländern leichter als dessen Unterstützer. 10 Die britisch-muslimische Autorin Yasmin Alibhai-Brown rechnete in Buchform mit dem Multikulturalismus ab (der in Großbritannien in den 1970er- und 1980er-Jahren in gewissem Um fang politisch praktiziert wurde) und sprach für viele Einwanderer, als sie schrieb, eine solche Politik betrachte »Unterschiede als grundlegend und unveränderlich, sie möchte die Menschen in voneinander getrennte und wech selseitig exklusive Kategorien aufteilen, die weder die Komplexität unserer Identitäten noch die Art und Weise berücksichtigen, auf die wir alle in unserer gemeinsamen Gesellschaft miteinander umgehen müssen.« Sie warnt davor, dass der Multikulturalismus »dazu neigt, die Vorstellung von Kultur verknöchern zu lassen«, und die verschiedenen Gemeinschaften dazu ermutigt, die konservativsten und am stärksten religiös geprägten Praktiken genau dann beizubehalten, wenn diese, überließe man das nur der persönlichen Entscheidung einzelner Einwanderer, ganz verschwinden würden. 1 Kenan Malik geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er erklärt, einige seiner britisch-muslimischen Landsleute seien durch die britische Politik, mit der die Selbstverwaltung ethnischer »Gemeinschaften« gefördert wurde – zum Beispiel durch auf eine bestimmte Moschee bezogene Finanzierung –, in Wirklichkeit radikalisiert worden. Diese Politik, schrieb Malik, half mit, »eine Beschwerdekultur aufzubauen, in der das Beleidigtsein zu einem Identitätsmerkmal wurde, den radikalen Islamisten die Bahn bereitet wurde und säkulare und progressive Argumente besonders in den muslimischen Gemeinden einen schwereren Stand hatten«. 2 Seitens der Einwanderer besteht nur ein ganz geringes Interesse am Multikulturalismus, seitens der gegenwärtigen Regierungen überhaupt keines mehr. Aktuell betreibt keine einzige Regierung der westlichen Welt eine Politik, die den Multikulturalismus unterstützt oder toleriert. Doch die Kritik am »Multikulturalismus« fällt schärfer aus als je zuvor, in nahezu jedem westlichen Land gehört sie inzwischen zur Rhetorik konservativer Parteien. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es keine eindeutige Definition des Begriffes gibt. Manche Bürger verbinden ihn nicht mit der Politik der Regierung, sondern mit der Zusammenballung von Einwanderern ähnlicher Herkunft in ethnisch homogenen Wohnvierteln. Aber eine solche Zusammenballung ist – wie die in diesem Buch zitierten Untersuchungen gezeigt haben – ein notwendiges Übergangsphänomen und entspringt keinem Bedürfnis, isolierte »Parallelgesellschaften« zu schaffen. Durch bestimmte Maßnahmen integrieren sich diejenigen Einwanderer, die ethnische Enklaven (oder, wie ich sie genannt habe, Ankunftsstädte) bilden, rascher und erfolgreicher als diejenigen, die das nicht tun.
    Das Wort »Multikulturalismus« hat allerdings in vielen Fällen nichts mit Kultur zu tun. Es wird eher aus Furcht vor einer fremden Religion bemüht, auch wenn die jener Religion angehörenden Gläubigen vollständig an das Alltagsleben ihres

Weitere Kostenlose Bücher