Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
der Stressforschung aber nur sehr langsam Berücksichtigung in der Humanmedizin, obwohl immer deutlicher wird, dass der Zustand unseres Stresssystems eine wichtige Rolle für die Gesundheit spielt. Stressforscher wie Bruce McEwen von der Rockefeller University New York beschäftigen sich in diesem Zusammenhang seit vielen Jahren intensiv mit dem Botenstoff Cortisol. Dieses Hormon wird umso mehr aus den Nebennieren ins Blut freigesetzt, je mehr unser Stresssystem aktiviert ist. Cortisol entfaltet zahlreiche Wirkungen im Körper; eine seiner Hauptaufgaben ist es jedoch, auf das Gehirn dämpfend zu wirken, wenn wir unter Stress stehen. Sein Bestreben geht dahin, das hochaktive Stresssystem – etwa nach einem Streit, einer Prüfungssituation oder anderen belastenden Situation – abzubremsen und wieder in seine Ruhelage zu bringen. Normalerweise gelingt das auch. Bei Menschen, deren Stresssystem aber ständig beansprucht wird – das können zum Beispiel ungelöste Konflikte am Arbeitsplatz oder in der Partnerschaft sein (Forscher sprechen von psychosozialem Stress) –, steht das Cortisol permanent auf der Bremse wie der Fahrer eines Autos, das über einen langen Gebirgspass bergab rollt. Er hat keine andere Wahl, als zu bremsen, aber er muss befürchten, dass die Bremse dabei heiß läuft und er das wachsende Tempo der Talfahrt nicht mehr kontrollieren kann. Wenn also über einen längeren Zeitraum die Cortisolwerte eines Menschen erhöht sind (eine Reihe von Blutuntersuchungen würden hierüber Aufschluss geben), lautet die medizinische Diagnose: chronischer Stress; und der hat Folgen. Permanent erhöhte Cortisolwerte wirken wie ein durchgetretenes Bremspedal auf das Stresssystem, und dieser zermürbende, nicht kontrollierbare Stresszustand führt zu Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen, beschleunigt die Alterung des Körpergewebes – also den Verschleiß. In der Stressforschung ist dieser Zusammenhang schon seit Längerem bekannt und gut untersucht. Ungeklärt war bisher aber die Frage, wie stark sich der Verschleiß durch ein langandauernd überaktives Stresssystem auf unser gesamtes Leben und unsere Gesundheit auswirken kann. Anders gefragt: Wie tödlich kann der Langzeitzustand mit hohem Cortisol sein? Vor Kurzem wurde in einer britischen und einer niederländischen Langzeitstudie erstmals gezeigt, dass erhöhtes Cortisol tatsächlich das Risiko einer verkürzten Lebensdauer anzeigt. Schon länger nahmen Wissenschaftler an, dass Menschen, die ständig unter Stress stehen, früher sterben – jetzt ist diese Vermutung mit entscheidenden Belegen bestätigt geworden.
Typ A oder B? – Warum einige Menschen trotz Stress schlank bleiben und warum das aber kein Vorteil ist …
Wenn also ein Dauerzustand mit hohem Cortisol eine derartige Belastung für den Körper ist, wie geht dieser damit um? Auch dieser Frage sind Stressforscher nachgegangen und auf eine interessante Antwort gestoßen. Es gibt nämlich zwei Wege, auf dauerhafte Stressbelastungen zu reagieren; Stressforscher sprechen von Typen, die sich in ihrer genetischen Veranlagung unterscheiden: Der eine Typ – wir nennen ihn »A« – hat eine geringe Plastizität seines Stresssystems – es ist nur sehr eingeschränkt anpassungsfähig. Sein Stresssystem ist in sicherer übersichtlicher Umgebung hochreaktiv und spricht auf psychosoziale Stressoren sehr empfindlich an, und es bleibt immerfort hochreaktiv, auch beim Wechsel in eine stressvoll-gefährliche Umgebung – was dazu führt, dass unter solchen schlecht vorhersehbaren Lebensumständen das Cortisol im Blut anhaltend erhöht ist. Menschen vom Typ A stehen also immer dann »unter Strom«, wenn ihnen viel abverlangt wird. Sie können ihren Stress nicht dämpfen oder kanalisieren. Ihr Stresssystem versetzt sie in Unruhe und Angst. Jörg P., der schlanke Mann, der am Infarkt starb, ist ein klassischer Vertreter des Typs A.
Typ B hat dagegen ein Stresssystem mit ausgeprägter Plastizität – so wie Sven Z. Solange diese Menschen sich in sicherer Umgebung befinden, geht es ihnen wie Typ A – sie sind hochreaktiv. In stressvoller Umgebung zeigen Menschen vom Typ B zunächst auch erhöhtes Cortisol im Blut. Aber nach einiger Zeit – nach Monaten oder wenigen Jahren – tritt bei ihnen ein Anpassungsprozess ein. Sie finden einen Weg, das Stresssystem zu dämpfen; es wird also niedrigreaktiv. Selbst bei einem langandauernden Aufenthalt in stressvoller Umgebung normalisiert sich bei Menschen dieses
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