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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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nichts mehr zu tun übrig. Außer, ja außer anhand des Poststempels unter größten Mühen ihren Aufenthaltsort herauszufinden, nur damit alles wieder von vorne anfinge, aber diesmal im sicheren Tod enden würde.
    Ich begriff, daß er diese Möglichkeit wahrscheinlich verworfen hatte und deshalb ein so verzweifeltes Gesicht machte.
    Lauwarmer Wind wehte durch die offenstehende Tür herein und mischte sich unter die kühle Luft der Klimaanlage.
    »Was soll denn das viele Gepäck?« fragte Otohiko mit Grabesstimme.
    »Och, ich mach ein bißchen Urlaub.«
    » Auch du, mein Sohn Brutus? – Wohin fährst du? Bist du allein?« fragte er. Irgendwie bekam ich das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen, und sagte deshalb nur: »Ja.«
    »Für wie lange?«
    »Weiß ich noch nicht«, sagte ich.
    »Nimm mich mit, ich spiel auch den Chauffeur«, sagte er. Ich zog die Augenbrauen hoch. Er sagte: »Der pure Neid befällt mich plötzlich. Ich hab nichts vor mit dir, keine Angst, so munter bin ich nicht. Ich will bloß nicht hierbleiben. Zu zweit ist doch besser als alleine! Außerdem kann ich dir auf verschiedenste Weise nützlich werden.«
    Ich überlegte. Ja, dann fahr doch selbst irgendwohin … aber ich brachte es einfach nicht fertig, ihm das zu sagen. Er war bestimmt nicht mal auf diese Idee gekommen. Es paßte nicht zu ihm, und außerdem war er völlig am Boden zerstört und erschöpft.
    »Na gut, aber nur heute. Morgen trennen sich unsere Wege, ja?« sagte ich.
    »Einverstanden. Morgen fahr ich dann eben Freunde in Yokohama besuchen.«
    »Das trifft sich prima. Ich wollte sowieso Richtung Kanagawa.«
    »Ich brauche nur einen Anlaß, um hier wegzukommen. Allein wär ich viel zu faul dazu. Ich werde dir ewig dankbar sein!« Er lächelte – zum ersten Mal an diesem Tag.
    Ich wartete, bis er seine Sachen gepackt hatte. Wir verließen die Wohnung und besorgten uns einen Leihwagen.
    »Komm, wir kaufen uns noch was zu essen für den Strand.«
    »Ja, genau. Toll! Wir machen ein Lagerfeuer, ja?«
    Ich bekam allmählich richtig gute Laune. Wurde auch langsam Zeit!
    Wir fuhren auf die Autobahn, Richtung Meer. Das Vibrieren des Wagens auf der Straße in immer gleichbleibendem Rhythmus, das Piepen des eingebauten Warnsignals beim Überschreiten der Hundert-Stundenkilometer-Grenze, vorbeifliegende Häuserreihen und das transparente Blau des Himmels. Ein noch etwas matter Halbmond und eine zuckerweiße Venus.
    Für mich beinhalteten diese Landschaftsbilder, die sich vom Abend bis zur Nacht, von der Stadt bis zum Meer erstreckten, alles, was bisher geschehen war.
    So was gibt’s manchmal.
    Mein Herz hatte seinen weiten Mantel über die Schönheit des Gesehenen geworfen, und alles, Dichtes wie Flüchtiges, war fest darin eingehüllt. Es steckte in der Landschaft, im weiten Firmament, im sich langsam drehenden, hohen Himmelszelt, wo ich es sehen konnte, jetzt, an diesem Punkt der Reise.
     
    »Zurückkommen wird sie wohl nicht mehr …«, sagte Otohiko.
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte ich.
    »Ich fühle mich irgendwie leicht, ein komisches Gefühl, als würde ich mich bald in nichts auflösen«, sagte er.
    »Wieviel Jahre waren es? Seit ihr euch kennengelernt habt, meine ich?«
    »Genau sechs, glaube ich. Oder mehr? … Ach, ich brauch wirklich Urlaub. Ich kann mich nicht mal richtig daran erinnern, was wir die ganze Zeit gemacht haben.« Er blickte nach vorn, als er das sagte.
    »Seither – hast du sie gesucht?«
    »Ja sicher, jeden Tag, wie ein Detektiv. Kaum geschlafen hab ich. Als der Brief kam, hat es erstmal so weh getan, daß ich weinen mußte.«
    »Du dachtest, sie sei tot?«
    »Zunächst natürlich nur, daß sie verschwunden ist. Aber da wir beide nicht so gut drauf waren in der letzten Zeit, dachte ich tatsächlich irgendwie an diese Möglichkeit. Tagsüber hab ich sie gesucht, abends bin ich immer in ihre Wohnung zurückgegangen und hab gewartet. Und jede Stunde hab ich den Anrufbeantworter bei mir zu Hause abgehört.«
    »War wohl ganz schön hart.«
    »Sie sagte ja alles mögliche, aber für sie war es mit Sicherheit auch schwer … Ich bin froh, daß sie lebt. Ich glaube fast, das, was sie getan hat, war die beste Lösung, wirklich.«
    »Ich bin froh, daß du so denkst«, sagte ich.
    »Aber wenn du jetzt nicht vorbeigekommen wärst – ich hätte mich wahrscheinlich heute abend umgebracht … kleiner Scherz, keine Bange! Aber der Brief hat mich wirklich fertiggemacht.«
    Vielleicht doch kein Scherz, schoß es mir durch den

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