Na endlich Liebling
schon von weitem zu hören. Das ärgste war, daß sie dem verhaßten Gänserich an dem kleinen Bach begegneten. Wütend
zischte er Justin an, aber Sally nahm ihn beim Hals und sprach ihm beruhigend
zu. Als sie ihn wieder losließ, sagte sie: »Er wird Sie nicht beißen. Er ist
sehr gescheit, und ich habe ihm erzählt, daß Sie kein Fremder mehr sind.«
Durch diese Auszeichnung wenig
beeindruckt, fragte Justin gereizt: »Weshalb behalten Sie eigentlich dieses
Biest? Sie halten doch keine Gänse!«
»Nein. Er ist wohl einsam und
darum so böse. Wir hätten ihn auch nicht gekauft. Eine Nachbarin hatte ihn uns
geschenkt, er war das einzige Gössel , das geschlüpft
war. Vater ißt so gerne Gänseeier. Eines Tages
stellte es sich heraus, daß Polly ein Ganter war: da hatten wir ihn aber schon
zu sehr ins Herz geschlossen, um ihn zu verspeisen. So ist das nun mal.«
Ja, dachte Justin, so würde es
ihr immer gehen, wenn man ihr nicht beistand. Ein Bild von Sally in zwanzig
Jahren stieg vor ihm auf — denn mindestens so lange würde Philip Ross wohl noch
leben. Ihr Gesichtchen würde dann nicht mehr so rund sein. Es würde schmal und
von Sonne und Wind gegerbt sein. Ihr sanfter, kindlicher Charme würde vergehen,
und sie würde wie jede andere unverheiratete Tochter aussehen, die sich für
ihre egoistischen Eltern geopfert hat.
Und Clive? Der würde seine Farm
verkauft haben, stellte sich Justin erbittert vor. Clive würde in eine andere
Gegend ziehen, eine ergebene Frau heiraten und mindestens vier Kinder haben.
Nein, nein, es mußte etwas
geschehen! Sofort begann er mit seiner Rettungsaktion.
»Diana und ich haben neulich
von Ihrem Vater gesprochen«, fing er wahrheitsgemäß an. »Wir dachten uns, daß
er sich wohl manchmal nach geistiger Aussprache sehnt.«
Das war doch zartfühlend
ausgedrückt; er durfte ihr empfindsames Gemüt nicht verletzen. Doch anscheinend
war sie keineswegs gekränkt.
»O ja!« sagte sie eifrig.
»Danach sehnt er sich sehr! Ansprache kann er gar nicht genug haben. Dazu tauge
ich nicht besonders, müssen Sie wissen. Ich war keine gute Schülerin. Ich
wollte, ich hätte mehr von Vaters Intelligenz.«
Justin dachte, daß sie so viel
netter sei, doch laut sagte er: »Aber Sie lesen doch auch, und Sie hören gern
Musik.«
»Ja, schon, aber ehrlich gesagt
mag ich die, die Vater liebt, nicht so besonders. Ich mag Bücher wie die von
Monica Dickens oder Daphne Du Maurier . Die intimsten
Gefühle anderer Leute langweilen mich. Moderne Gedichte und solche
Theaterstücke, wie sie heutzutage verfaßt werden,
verstehe ich überhaupt nicht. Vater gab mir eine Sammlung amerikanischer Stücke
zu lesen; das einzige, das mir gefiel, war Der Mann, der zum Essen kam, und gerade das findet Vater zu naiv. Kaiser Jones hat mich geradezu
verfolgt, und mit der Glasmenagerie konnte ich gar nichts anfangen.«
»Na ja, das ist alles nicht
gerade heiter, und für Tragödien sind Sie abends gewiß zu müde.«
»Ich glaube nicht, daß es daran
liegt. Es liegt wohl an mir selbst. Ich wünschte, ich hätte mehr Verständnis
für Delius und für Bach, denn Vater hätte so gern einen Menschen, mit dem er
darüber sprechen könnte.«
»Haben Sie denn für Musik gar
nichts übrig?«
»Doch, wenn es sich um eine
richtige Melodie handelt, zum Beispiel Seemannslieder.«
Justin spürte nun doch einen
leichten Schauder. Seemannslieder und Monica Dickens! Nun ja, sie war
wenigstens eine ehrliche kleine Spießbürgerin!
Das war Justins erste Erfahrung
mit den Kümmernissen der Ungebildeten. Bisher war er der Meinung gewesen, daß
nur die Gebildeten Grund zur Klage hätten.
»Für Vater war das natürlich
immer betrüblich — bis Sie hierherkamen. Aber Sie werden wohl nicht lange
bleiben?«
»Nur für ein Vierteljahr«,
sagte Justin fest. Merkwürdig: Es tat ihm im Inneren ein bißchen weh. Sollte er
es etwa bedauern? Doch er wies diese lächerliche Idee weit von sich. In diesem
Lande der Spießbürger konnte man unmöglich auf die Dauer glücklich sein.
»Wir dachten also«, fuhr er
hastig fort und übersah geflissentlich die Enttäuschung in ihrem Gesicht, »ob
es Ihrem Vater Freude machen würde, wenn wir... ich meine, wenn er ein paar
Bekannte in seine Lieblingsmusik und -literatur einweihen könnte. Wäre es Ihnen
wohl recht, wenn sie einmal abends hierherkämen, um Musik zu hören und über
Bücher zu diskutieren?«
Sie war begeistert. »Das wäre
ja großartig! Es würde ihm gefallen. Und ich könnte fürs
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