Nach all den Jahrmilliarden
Blüte macht ihn ungeheuer stark an. Die Auswirkung einer Blume auf den Stoffwechsel eines Dinamonianers muß gewaltig sein, weitaus intensiver als die des Alkohols auf unseren Metabolismus: Nur ein paar Happen Blüten reichen aus, um Mirrik einen kolossalen Schwung zu geben.
So öde es hier auch ist, es gibt ein paar Blumen. Einer der Terraforming-Ingenieure muß einen Hang zur Poesie gehabt haben: Etwa zwei Kilometer von unserer Ausgrabungsstelle entfernt hat er ein Wäldchen von Milla biflora – Mexiko-Sternen – angepflanzt. Die Pflanzen wachsen an ein paar geschützten Stellen. Mirrik, der eine Menge Bewegung braucht und gern lange, einsame Streifzüge unternimmt, hat sie gefunden.
Ich war der erste, der sein Geheimnis lüftete.
Eines Nachmittags, als ich nach Beendigung meiner Schicht in der Ausgrabungsstelle dienstfrei hatte, sah ich, wie Mirrik mir entgegentollte. Auch er hatte ein paar Stunden Freizeit. Als er die Fundstelle nahezu erreicht hatte, richtete er sich auf und versuchte, seine Vorderbeine zusammenzuklatschen. Das funktionierte nicht und er verhedderte sich. Er erhob sich wieder, rannte im Kreis umher und versuchte es erneut. Wieder schlug es fehl. Er sah mich an und kicherte. Stell dir einmal einen zehn Tonnen schweren, kichernden Dinamonianer vor! Gut gelaunt schnalzte er mit seinen Stoßzähnen. Er schwankte mir entgegen, riß mich mit seinen Armen gutmütig an sich und wirbelte mich herum. Das erheiterte ihn so sehr, daß er mit seinen Beinen rhythmisch aufzustampfen begann. Der Boden erzitterte.
„Hallo, Tommeee, wie gehss dir, Junnge?“ Er zwinkerte. Er blies mir seinen Atem ins Gesicht. „Guter alter Tommeee. Lass unsss tanssen, Tommeee!“
„Mirrik, du bist ja sternhagelvoll!“ tadelte ich ihn.
„Unssinn.“ Mit seinen Stoßzähnen knuffte er mich scherzhaft in die Rippen. „Tanssen! Tanssen!“
Ich sprang zurück. „Wo hast du Blumen gefunden?“
„Blummen gibss hier nich. Binn einnfach nnur glückkklich!“ Seine Schnauze war von den Pollen der Mexiko-Sterne goldfarben bestäubt. Ich runzelte die Stirn und wischte es fort. Mirrik kicherte erneut. „Halt still, du überdimensionaler Ochse!“ sagte ich. „Wenn dich Dr. Horkkk so sieht, zieht er dir das Fell über die Ohren!“
Beim Laboratorium wollte Mirrik haltmachen, um mit Pilazinool über Philosophie zu diskutieren. Ich redete ihm das aus. Dann begann es zu regnen, was ihn ein wenig ernüchterte. Soweit jedenfalls, daß er begriff, in Schwierigkeiten geraten zu können, wenn ihn einer der Chefs entdeckte. „Geh mit mir spazieren, bis mein Kopf wieder klar wird“, sagte er, und ich erfüllte ihm seinen Wunsch. So diskutierten wir über die Entwicklung religiöser Mystik, bis er wieder ganz bei Verstand war. „Ich schäme mich für meine Schwäche, Tom“, sagte er bekümmert, als wir zum Lager zurückkehrten. „Aber ich glaube, durch deine Hilfe kann ich der Versuchung nun widerstehen. Ich werde dem Fleckchen mit den Mexiko-Sternen nicht noch einmal einen Besuch abstatten.“ Am nächsten Tag kam er ebenfalls betrunken zurück. Ich war im Laboratorium und reinigte und sortierte die letzte Förderung von zerbrochenen Inschriftsknoten und verbeulten Plaketten, als draußen eine Stimme zu dröhnen begann:
„Komm, füll dden Kelch, und ddie Frühlingsssflamme
Sssollen die Kühle dess Winterss verbannen;
Der Vogel dder Zseit,
er musss nur noch eine kursse Sstrecke fliegen,
Der Vogel dder Zseit,
er wird den Winter bessiegen.“
„Es ist das Ruba’ijat!“ {5} rief Jan, als sie eintrat. „Es ist Mirrik!“ keuchte ich. Dr. Horkkk sah finster von seinem Computer-Terminal auf.
Dr. Schein runzelte die Stirn. 408b gab seinem Widerwillen mit einem undeutlichen Murmeln Ausdruck – es konnte solche Laster einfach nicht begreifen. Mirrik fuhr fort:
„Ein Bissssen für ddie Pracht diessess Ortesss,
Ein Seufssen für dass Paradiess dess Propheten Wortess;
Oh, nimm dass Geld und lasss dden Rubel rollen,
Und achte nicht auf dasss ferne Dröhnen der Trommeln!“
Jan und ich stürzten aus dem Laboratorium heraus und entdeckten Mirrik, der mit seinen Stoßzähnen den Boden vor dem Gebäude durchwühlte.
Hinter seinen Ohren ragten zerknitterte Blüten von Mexiko-Sternen hervor, und sein ganzes Gesicht war mit Pollen bestäubt. Einen Augenblick lang sah er mich betrübt an, als versuche ein nüchterner Mirrik, hinter der betrunkenen Maske zum Vorschein zu kommen. Dann kicherte er wieder und fuhr
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