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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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Es wäre albern, so zu sterben. Sie lässt das Gurkhamesser auf den Boden fallen, und Moses Todd macht zwei Schritte nach vorn und kickt es unters Bett. Der Lauf der Pistole ist nur noch dreißig Zentimeter von ihrem Kopf entfernt.
    Warum machst du das, Mose? Du willst es doch gar nich.
    Das hat nichts mit wollen zu tun. Das weißt du genau, Kleine. Du hast meinen Bruder umgebracht.
    Er war kein guter Mensch.
    Traurig zuckt Moses Todd die Achseln. Hör zu. Manche Leute verstecken sich vor den Augen der Welt. Sie verkriechen sich und zittern. Sie suchen sich vier Wände, die hoch genug sind, damit nichts an sie rankommt. Für diese Leute ist die Welt ein schrecklicher Ort. Aber du und ich, wir sind anders. Wenn wir gerufen werden, kommen wir. Egal, was es ist und wie weit es weg ist. Rache oder Fürsorge, Vernunft oder Irrsinn – für uns ist das alles gleich. Auch wenn es uns nicht gefällt, wir ziehen los. Weil du und ich, Kleine, wir sind Kinder Gottes, wir sind Soldaten, wir sind Wanderer. Und für uns ist die Welt ein Wunder.
    Widerstrebend erkennt sie die Wahrheit in seinen Worten. Und seine Augen sind erfüllt von einem Flehen um Verständnis – als wäre die Waffe an ihrem Kopf eine brüderlich ausgestreckte Hand.
    Und das ist sie auch, das weiß sie.
    Eine Gemeinschaft des Lebens, die die Sprache des Todes spricht.
    Sein Wille, sie zu vernichten, und ihr Wille, sich nicht vernichten zu lassen – beides ist schön und heilig.
    Und was jetzt?, fragt sie.
    Jetzt stirbst du, antwortet er schlicht.
    Okay.
    Dreh dich lieber um.
    Nein. Du musst mir schon ins Gesicht schauen dabei.
    Das hält mich nicht ab.
    Ich weiß.
    Es ist leichter für dich, wenn du es nicht kommen siehst.
    Ich hab’s mir noch nie leicht gemacht.
    Dann tu ich es jetzt.
    Nur zu.
    Sie schaut ihm in die Augen, sieht sich darin gespiegelt, ein Geschöpf der Gewalt, ein brutales, ein trauriges Wesen. Dann fixiert sie seine ruhige Hand, den Finger auf dem Abzug der Pistole. Sie konzentriert sich auf den Finger, wartet auf das leiseste Zucken.
    Sie hat nur eine Chance. Der Rand eines Moments, ein Staubkorn der Zeit – der Punkt zwischen dem Befehl seines Gehirns und dem tatsächlichen Abdrücken. Das ist ihre Lücke. Zu früh, und die Waffe folgt ihr mit hellwachem Bewusstsein. Zu spät, und es ist zu spät. Doch es gibt diesen Bruchteil einer Sekunde – den Schatten zwischen Denken und Tun. Dort wohnt das Bedauern des Verstandes, der die Handlung des Körpers nicht mehr rückgängig machen kann. Sie kennt diesen flüchtigen Zustand. Gott weiß, dass sie ihn kennt. Sie weiß, wie er sich anfühlt auf der Haut, in den Fingern. Sie kann ihn sehen wie mit Röntgenaugen.
    Moses Todd, seine Augen, die Lippen im dunklen Bart, der Pistolenlauf, der Finger am Abzug, das Zucken, der Moment – jetzt.
    Sie stürzt sich vor und nach unten, und wo eine Millisekunde vorher noch ihr Kopf war, explodiert der Schuss. Sie rammt ihm den Kopf so heftig in den Bauch, dass der große Kerl zusammenklappt, dann packt sie blitzschnell den Lauf der Waffe und dreht mit aller Kraft, bis er loslässt. Doch bevor sie auf ihn anlegen kann, klatscht er sie ihr mit seiner Riesenpranke aus der Hand. Die Pistole segelt durchs ganze Zimmer, kracht an die blumentapezierte Wand und fällt hinter den Nachttisch.
    Verdammt, Kleine.
    Nach einem kurzen Atemzug stößt Moses Todd sie gegen den Sessel und legt ihr die Hände um den Hals. Unerbittlich bohren sich seine großen Daumen in ihre Luftröhre. Sie packt ihn an den Handgelenken und versucht sich seinem Griff zu entwinden, aber seine Arme sind schwer und massig wie frisch geschnittene Äste.
    Du musst von meiner Hand sterben, Kleine. Seine Stimme ist erfüllt von etwas, das kein Zorn ist. Das ist alles, es muss so sein. Sonst verliert das Ganze jeden Sinn. Das weißt du doch. Du und ich, wir haben eine Vision.
    Auf den Innenseiten ihrer Augenlider blitzen Sterne, ihr Kopf fühlt sich an, als wollte er davonschweben, die Kehle kann nicht mehr schlucken, und alles, was sie durch das stampfende Pochen ihres Herzens hört, ist seine Stimme, die ihr die Worte eines Weisen zuraunt.
    Wir haben eine Vision, wiederholt er.
    Sie keilt mit dem Fuß aus und trifft ihn hart zwischen den Beinen, die Finger gleiten von ihrem Hals, sie würgt und hustet, in ihre Lunge strömt wieder Luft, und in ihrem Kopf hämmert es – aber sie fühlt sich nicht mehr schwerelos, Gewicht und Kraft sind wieder da, und sie rappelt sich hoch und rennt an ihm vorbei

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