Nach dem Ende
leuchtenden Fischen entdeckt sie am Strand eine Leiche. Wie immer wandert sie um die Insel, um nach den Netzen zu sehen, und dabei findet sie die Leiche an der Nordspitze der tränentropfenförmigen Landmasse in der Nähe der Untiefe.
Zuerst ist es nur ein schwarzer Umriss auf weißem Sand, und sie mustert ihn aus der Ferne, die Hände über den Augen.
Zu klein für einen Menschen, außer er ist zusammengekrümmt oder halb vergraben. Was durchaus möglich ist.
Sie schaut sich um. Eine friedliche Brise weht durch das Gras an der Küste.
Sie setzt sich hin und wartet ab, ob sich die Gestalt bewegt.
Die Untiefe ist heute größer. Sie wird ständig größer. Bei ihrer Ankunft hier schien die Insel weit entfernt vom Festland. Sie ist auf einer leeren, weiß-roten Kühlbox hergeschwommen, die ihr dabei half, die Strömungen zu passieren. Das ist schon mehrere Monate her. Seitdem ist die Insel gewachsen, die Jahreszeit zieht das Wasser jede Nacht weiter hinaus und die Insel näher ans Festland. Von der Küste erstreckt sich eine felsige Riffzunge weit ins Wasser, und von der Insel ragen große Korallenspitzen in die andere Richtung. Wie die Finger Gottes und Adams reichen sie jeden Tag näher aneinander heran, während das Wasser zurückweicht und seichter wird.
Trotzdem ist es wohl noch sicher. Die Brecher krachen mit heftigem Donnern gegen die Klippen. Niemand kann die Untiefe durchqueren, ohne auf dem Fels in Stücke zerfetzt zu werden. Noch nicht zumindest.
Die Gestalt regt sich nicht, also steht sie auf und nähert sich ihr vorsichtig.
Es ist ein Mann, das Gesicht im Sand vergraben. Das untere Ende seines Flanellhemds peitscht im Wind hin und her. Etwas an der Lage seiner Beine – ein Knie hochgeschoben zum Kreuz – verrät ihr, dass sein Rückgrat gebrochen ist. Er hat Sand im Haar, seine Fingernägel sind zerrissen und blau.
Wieder späht sie umher. Dann hebt sie den Fuß und stupst den Mann mit dem Zeh an. Nichts passiert, und sie stößt ihn erneut, fester diesmal.
Da fängt er an, sich zu winden.
Aus seiner Kehle dringen gedämpfte Laute, ein angestrengtes Ächzen und Knurren – eher kläglich und frustriert als leidend und qualvoll. Seine Arme fegen über den Sand, als wollte er einen Engel nachahmen. Durch seine Muskeln läuft ein Beben und Wogen wie bei einem defekten Spielzeug, das immer wieder zuckend versucht, sich aufzurichten.
Fleischsack, sagt sie laut.
Eine Hand packt sie am Knöchel, aber sie schüttelt sie ab.
Zurückgestützt auf die Hände setzt sie sich hin, um die Füße gegen seinen Körper zu stemmen und ihn nach hinten zu stoßen. Beim Herumrollen hinterlässt er einen nassen Abdruck im Sand und landet mit dem Gesicht nach oben.
Ein Arm rudert noch, doch der andere ist unter seinem Rücken eingeklemmt, also bleibt sie auf dieser Seite und kniet sich über sein ungeschütztes Gesicht.
Das Kinn fehlt völlig, auch ein Auge. Das Gesicht ist mit schwarzen Blasen übersät und aufgerissen. Unter einem herabhängenden, mit nassem Sand verklebten Hautlappen sind der gelblich weiße Wangenknochen und Knorpelgewebe zu erkennen. An der Stelle, wo das Auge war, ist jetzt ein matschiger Brei aus dicker, klarer Flüssigkeit gemischt mit Blut – wie Eier mit Ketchup. Aus der Nase hängt ihm ein Seetangblatt und verleiht ihm ein komisches Aussehen, als hätte sich jemand einen Scherz mit ihm erlaubt.
Das Gesicht wirkt irgendwie falsch. Selbst abstoßende Dinge können richtig aussehen, wenn sie über eine Symmetrie verfügen. Durch das Fehlen des Unterkiefers aber erscheint das Gesicht plump und der Hals merkwürdig pferdehaft.
Sie bewegt die Finger über seinem intakten Auge, und es rollt unsicher in der Höhle hin und her, ohne die Hand wirklich in den Blick zu bekommen. Dann legt sie die Finger von unten an den fehlenden Mund. Er hat noch die oberen Zähne, aber darunter nichts, wogegen er beißen könnte. Sie bemerkt, wie die Sehnen hinter seinen Zähnen in einem sternförmigen Muster zucken. Milchweiß steht der Knochen heraus, an dem der Unterkiefer befestigt sein müsste, und gelbe Bänder strecken und entspannen, strecken und entspannen sich wie Gummi in einer geisterhaften Kaubewegung.
Was willst du denn? Sie schüttelt den Kopf. Mich beißen? Ich glaub, deine Beißzeit is vorbei, Mister.
Er schafft es, den Kopf in ihre Richtung zu drehen, und windet sich weiter.
Hör schon auf damit. Dein Rückgrat is gebrochen. Du kommst nirgends mehr hin. Das hier is so ziemlich deine
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