Nach Hause schwimmen
quietschen. Randolph sieht nicht einmal von seinem Magazin hoch und sagt, ich solle abhauen.
Das Lokal liegt zwei Blocks vom Hotel entfernt. Ich bin schon daran vorbeigegangen, Kneipen sind nicht mein Fall. Der Raum ist lang und schmal. Links stehen die Theke, Regale und Kühlschränke, rechts die Tische, durch schulterhohe Wände voneinander abgetrennt. Ganz hinten bei der Tür, wo es zu den Toiletten geht, hängt eine Dartscheibe. Ein altes Ehepaar, beide in Jeanshosen, -hemden und -jacken gekleidet, spielen gegeneinander. Sie erledigen ihre Würfe, als sei es eine Arbeit. Die Frau ist klein und zierlich, und nur dank ihren aufgetürmten blonden Haaren wirkt sie neben ihrem Mann nicht wie ein Kind.
»Danke für den Brief«, sagt Aimee. Sie lächelt und berührt ebenso flüchtig meine Fingerspitzen. Ich ziehe die Hand zurück und bereue in der gleichen Sekunde, es so jäh getan zu haben. Aimees Handschuhe liegen auf dem Tisch, auch der Schal und eine Wollmütze, die sie auf dem Weg hierher aufgesetzt hat. Ich frage mich, ob sie selber strickt oder ob sie die Sachen von ihrer Mutter bekommen hat, vielleicht von ihrer Großmutter. Die Kellnerin bringt meinen Tee und Aimees Milchkaffee. Sie hält eine Tasse in jeder Hand und bewegt sich beinahe grotesk langsam zu unserem Tisch, um nichts zu verschütten. Aimee lächelt ihr zu, aber sie bemerkt es nicht, weil sie bereits wieder auf dem Weg zur Theke ist, um den Zuckerstreuer zu holen. Das Etui mit dem Trinkhalm steckt in meiner Hosentasche, aber ich lasse es dort.
»Es tut mir leid«, sagt Aimee. »Die Sache im Gartenhaus.«
Ich fülle den Löffel mit Tee und verbrenne mir die Zunge daran. Alles in diesem Raum ist alt und aus dunklem Holz. Das Licht ist gelb, über der Theke farbig, wo es aus den Neonschildern der Bierfirmen strömt und, vom Spiegel zurückgeworfen, über den Tresen und die Barhocker und ein Stück des Bodens fließt. Die Stille ist ungewöhnlich. Ein Kühlaggregat summt, Musik kommt von irgendwoher, so leise, dass ich nicht einmal die Sprache verstehe. Die Kellnerin stellt den Zucker auf den Tisch und geht zu dem Dart spielenden Paar.
»Den Brief habe ich dir geschrieben, bevor ...« Ich rede nicht weiter. Weil der Zucker vor mir steht, kippe ich zwei Löffel in meine Tasse.
Eine Gruppe Leute betritt das Lokal, alte Männer und Frauen, die sich in der Nähe des Eingangs an einen Tisch setzen. Als sie ihre Hüte, Schals, Ohrenwärmer, Umhängetaschen, Mäntel und Handschuhe ablegen, kommen sie mir vor wie müde Jäger, die aus der Wildnis heimkehren. Wenn sie reden, tun sie das leise und in Sätzen aus weniger als fünf Wörtern.
»Ich weiß«, sagt Aimee. Sie tut Zucker in ihren Kaffee, drei Löffel voll, und rührt um. »Ich möchte es dir erklären.«
»Nicht nötig«, sage ich und mache eine Handbewegung. Dabei stoße ich gegen die Tasse, und Tee schwappt über den Rand.
»Die Männer dort sind alle so traurig. Wenn sie mich berühren, denken sie vielleicht an etwas anderes als daran, sich umzubringen.«
»Ich wollte mich nicht umbringen«, sage ich.
Aimee umschließt die Tasse mit beiden Händen, aber sie trinkt nicht. Das Ehepaar in Denim verlässt Hand in Hand das Lokal.
»Ich möchte nicht, dass du denkst ...« Aimee hebt den Kopf und sieht mich an. Ich senke den Blick, es ist wie ein dummes Spiel. Drei Männer kommen herein, Müllmänner oder Straßenkehrer, vielleicht auch Bauarbeiter. In ihren leuchtend orangefarbenen Overalls mit den weißen fluoreszierenden Streifen sehen sie nützlich aus, wichtig, ihr Anblick weckt Vertrauen in ein funktionierendes System. Sie setzen sich an einen Tisch, und endlich erfüllt ein wenig Lärm den Raum. Vielleicht sind es Feuerwehrleute, denke ich, und sie haben gerade jemanden gerettet. Ich stelle mir vor, ihre Uniform zu tragen und einer von ihnen zu sein. Ich würde Wasser in gelöschte Häuser verwandeln, in dankbar weinende Familien und Hunde mit versengtem Fell, die mir das Gesicht ablecken.
»Ich schreibe einen Artikel über das Institut«, sagt Aimee. Dabei zupft sie Wollknoten vom Schal und lässt sie auf die Tischplatte fallen. Stücke von Teeblättern liegen auf dem Grund meiner Tasse, darüber, im braunen Wasser, schwebt mein Auge.
Ich sehe Aimee an. Jetzt ist sie es, die den Blick senkt. Sie presst die Wollflusen zu einer Kugel. Die Männer reden und lachen und husten. Einer kommt an den Tisch, und seine Stimme lässt mich zusammenzucken. Vermutlich gibt es keine Uniform in
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