Nach Hause schwimmen
mich erholen.«
Die alten Leute bezahlen, verwandeln sich zurück in die Gruppe glückloser Jäger und gehen. Jemand dreht die Musik lauter, die Töne eines Klaviers vermischen sich mit dem gelben Licht. Aimee streift sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Eine Weile scheint es, als höre sie der Musik zu. Ich trinke meinen Tee, der inzwischen lauwarm ist.
»Es wäre schön, wenn du mir helfen würdest«, sagt Aimee leise.
»Ich habe nichts gegen Vermeer«, sage ich ruhig. »Dafür, dass er mich nicht mit irgendwelchem antidepressiven Mist vollgestopft hat, bin ich ihm sogar dankbar.«
»Du hast einen Spiegel zertrümmert, um dir die Pulsadern aufzuschlitzen, verdammt noch mal!« Aimee sagt das so laut, dass die drei Männer und die Kellnerin zu uns herübersehen.
Ich stehe auf und gehe. Mir ist ein wenig schwindlig, vielleicht weilich heute noch nichts gegessen habe. Auf dem Weg zum Hotel werde ich Brot und Schokolade kaufen. Aimee ruft mir nicht nach und folgt mir nicht.
Heute habe ich fast die Hälfte meines Wochenlohns für einen gebrauchten Föhn und einen kleinen Elektroofen ausgegeben. Weil Winston mich mag, hat er noch einen tragbaren Schwarzweißfernseher und einen Bambusstab in die Kiste getan. Der Bambusstab ersetzt die Fernbedienung. Mit ihm drücke ich die Programmtaste und verschiebe den Lautstärkeregler. Das Gerät hat die Größe und technische Raffinesse eines Toasters. Das Bild ist entweder zu hell oder zu dunkel, und zittrige Linien wabern von oben nach unten, was aussieht, als würden Schlieren von Flüssigkeit über den Bildschirm laufen. Der Ton ist in Ordnung, und die meiste Zeit liege ich mit geschlossenen Augen da und höre einfach nur zu. Vom Ofen geht ein seltsamer, metallischer Geruch aus, aber er schafft es immerhin, den winzigen Raum zu erwärmen.
Später sehe ich mir Twelve Monkeys an. Ich kenne den Film schon, aber in Schwarzweiß und Postkartengröße ist es ein neues Erlebnis. Flimmernd und ohne den Trost der Farben wirken die Bilder noch düsterer, die Geschichte verliert selbst den letzten Funken Hoffnung. Ich liege auf dem Bauch, meine Nase berührt beinahe den warmen Bildschirm. Ich krieche unter die Erde zu den Überlebenden, ich folge Bruce Willis in die Vergangenheit, ich bin James Cole, der im falschen Jahr landet, neunzehnhundertneunzig, dem Jahr, in dem Orla starb.
Ich liege auf den Steinen, dem Turm im Meer aus Gras. Über mir sind Sterne. Mein Großvater kniet neben mir. Das Messer in seiner Hand schimmert im Licht des Mondes. Er hat Gott gerufen, aber die Stille um uns ist nicht nur die meines Traums. Er wollte uns erlösen, alles Unrecht sühnen, jetzt verliert sich sein Blick im Leuchten der Klinge. Ich spüre mich nicht. Ich bin ein Name in einem alten Heft, eine Skizze, ich liege zwischen den Zeilen, umgeben von Wörtern ohne Sinn. Mein Körper ist ein zittriger Kreis, meine Haut aus Tinte. Das Papier schluckt mich, es weht mich davon, an den Rändern glühend. Mein Großvater weint, und ich will meine Hand auf seine legen, aber ich bin schon fort. Der Windtreibt mich aufs Meer, im Wasser bekomme ich einen Leib und sinke schwer zum Grund. Die Fische rufen meinen Namen.
»Wilbur.«
Das Wasser ist getränkt von Helligkeit, Mondlicht trägt mich. Ich muss atmen, in meinen Lungen kreist singend ein Rest verdorbener Luft. Meine Arme rudern, unter meinen Füßen ist nichts, nicht einmal das Muster aus schwarzen Namen. Fische schwimmen durch mich hindurch.
»Wilbur?«
Mein Kopf stößt durch die Oberfläche in die Dunkelheit. Klopfen dringt an mein Ohr. Ich öffne den Mund und schlucke warmen Sauerstoff. Ich huste, richte mich auf und starre keuchend auf die Wand vor mir. Langsam heben sich die Dinge aus dem Dunkel, der Schrank, der Stuhl.
»Wilbur, bitte mach auf.« Wieder das Klopfen.
Ich stehe auf, es ist ein halber Schritt zur Tür. Aimee steht auf dem Flur, breit und schwarz in ihrem Mantel. Wir sehen uns an, das Spiel ist zu Ende.
»Eine Katze«, sagt Aimee nach einer Weile. Hinter ihrem Kopf brennt ein Licht, ihre Haare leuchten. Sie riecht nach Regen und U-Bahn und Dieselwolken.
»Was?« Meine Stimme ist leise, ich räuspere mich.
»Die Narbe. Ich habe mit der Katze des Nachbarn gespielt.«
Ich nicke, dann erst begreife ich. Der rosafarbene Halbmond auf ihrer Wange. Aus einem der Zimmer dringt Musik, jemand flucht. Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung, und ich spüre den Ruck durch die nackten Fußsohlen.
»Lässt du mich rein?«
Ich
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