Nach Hause schwimmen
gemacht. Während seiner Zeit an der Uni, wo er Psychologie und Volkswirtschaft studierte, gab er seine geheime Liebhaberei auf. Er reiste nach England und Frankreich, kehrte nach Dublin zurück und studierte drei Semester Englische Literatur, folgte einer polnischen Sängerin nach Krakau und floh nur Wochen später, eingeschüchtert von todernsten Hochzeitsvorbereitungen, nach Wien.
Vom Geiste Freuds beseelt, fuhr er schließlich heim nach Dundalk, arbeitete auf dem Sozialamt, wurde befördert und war irgendwann Leiter des Jugendamtes. Als er eines Abends eine verletzte Taube auf der Straße fand, nachdem er wenige Stunden zuvor einen vom Vater regelmäßig verprügelten Jungen in die Obhut seines Amtes überführt hatte, war ihm die Idee mit dem therapeutischen Taubenschlag gekommen.
Auf einem ungenutzten Flecken Erde im Hinterhof des Sozialamtes baute er in seiner Freizeit aus Brettern und Latten, alten Türen und Fenstern eine kleine Hütte auf Stelzen. Von einem Freund aus früheren Tagen bekam er zwei Taubenpärchen und steckte sie in ihr neues Zuhause. Um die Vögel beobachten zu können, ohne sie zu stören, errichtete er neben der Hütte ein Podest, auf das man über eine Treppe gelangte. Meistens nahm er ein einzelnes Kind mit, um ihm die Tiere zu zeigen. Er erzählte ihm, dass ihr zoologischer Name Columbidae war, dass es Felsentauben und Ringeltauben gab, Hohltauben und Turteltauben und Türkentauben, dass Männchen und Weibchen ein Leben lang zusammenblieben, dass ihre Jungen Nesthocker genannt wurden und dass einige Brieftauben tausend Kilometer weit nach Hause flogen. Das Kind durfte die Tauben füttern, und wenn es sich vor den Tieren nicht fürchtete oder ekelte, durfte es ein besonders zahmes Exemplar auch streicheln.
Moriartys Modell, zu Beginn von vielen Kollegen noch belächelt, galt nach ein paar Jahren als richtungweisend, wenn es um den Einsatz von Tieren bei der seelischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen ging. Seine Methode machte Schule, und ihr Erfinder wurde zum neuen Direktor der Besserungsanstalt außerhalb Sligos ernannt.
Die Gesellschaft, so erklärte Moriarty den Neuankömmlingen in Four Towers, sei ein Taubenvolk. Vorneherum werde gegurrt und hintenherum gehackt, es herrsche ein ewiges Gezanke um Futter und die schönsten Weibchen, und die ganz Fiesen schissen ihresgleichen auf den Kopf. An dieser Stelle grinsten die meisten Jungs, und Moriarty lächelte zufrieden, bevor er fortfuhr. In einer Gesellschaft gehe es um gegenseitige Achtung, um Rücksichtnahme den Schwächeren gegenüber, um Solidarität. Er erläuterte den Jungen die Bedeutung dieses Fremdwortes, machte einen leidlich eleganten Schwenker zum Thema Weltfrieden und zeigte ihnen dazu Taubenbilder von Picasso und Matisse. Den Abschluss seines Vortrags bildete ein kurzer Exkurs in die faszinierende Welt der Brieftauben, deren Orientierungssinn und imposanten Flugkünste.
Im ersten Jahr hatte er den Fehler begangen, von Falken zu erzählen. Sämtliche wissenschaftlichen Fakten zugunsten seiner Weltbildmetapher ignorierend, nannte er sie die Bösewichte im Vogelreich, die im friedfertigen Taubenvolk Unruhe stifteten und nur an Streit und Kampf interessiert seien. Diesen Teil hatte er jedoch schon bald wieder weggelassen, nachdem sich viele der Jungen in der abschließenden Befragung lieber mit imposanten Falken als mit pummeligen Tauben identifizierten.
Jeder Junge musste einmal mit hinauf in den Taubenschlag und die Tiere eine Stunde lang beobachten. Moriarty forderte sie auf, zu beschreiben, was sie sahen. Meistens murmelten die Jungen etwas von verschlafen wirkenden Vögeln, die wie Hühner in ihren Nischen hockten, von den roten Augen, die manche hatten, vom seltsamen Gang der Tiere, den albern zu nennen sie sich nicht trauten, von den Lauten, die aus ihren aufgeplusterten Körpern drangen, von ihren grauen und weißen Federn, von den Ringen an ihren rötlichen, gerippten Füßchen. Einigemachten Bemerkungen über den vielen Mist, der überall lag, einige ganz Mutige über die Männchen, die wie zu klein geratene Gockel um die Weibchen balzten.
Moriarty hörte ihnen schweigend zu, oft amüsiert über die Jungen, von denen manche verschüchtert um Worte rangen und andere enthemmt, beinahe panisch drauflosquasselten. Erst am Ende der Stunde zählte er die Begriffe auf, die ihm beim Betrachten der Tauben einfielen. Sanftmut. Wachsamkeit. Innere Ruhe. Dann sahen ihn die Jungen an und nickten pflichtbewusst,
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