Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
orangefarbene Papierserviette. Wilbur sah, dass sich neben der Wahrsagerin, der dicken Frau mit dem Baby und den drei Kindern noch zwei Männer in der Küche befanden. Einer von ihnen war mindestens achtzig, der andere vielleicht fünfzig. Der Jüngere schnitt mit einem Messer Scheiben von einem riesigen Brotlaib, der Alte rührte mit einer Holzkelle in einer Schüssel.
    »Mein Name ist übrigens Fedora«, sagte die Wahrsagerin, nachdem sie neben Wilbur Platz genommen und ihm eine Portion grüne Bohnen auf den Teller getan hatte. »Und das ist meine Tochter Mabel mit dem kleinen Everett.« Mabel nickte Wilbur kurz zu und versorgte ihn mit einem Berg Kartoffelpüree, während Everett, der inzwischen in einem Kinderstuhl saß, mit seinem Knochen einen wilden Takt auf dem Essnapf schlug. »Das da drüben«, sagte Fedora und deutete mit dem tropfenden Schöpflöffel auf die beiden Männer, »sind Barney und Malcolm. Barney ist mein Bruder, Malcolm mein Schwiegersohn.« Wilbur lächelte den Männern zu, die ihrerseits freundlich grinsten. »Die drei da sind Norman, Dexter und Carrie.« Von den drei Kindern hob nur Carrie kurz den Kopf und die Hand, um Wilbur zu begrüßen, die beiden Jungen waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Teller zu füllen.
    »Lassen Sie es sich schmecken«, sagte Malcolm zu Wilbur und tunkte seine Scheibe Weißbrot in die Soße. Die anderen am Tisch wünschtensich gegenseitig guten Appetit und fingen ebenfalls an zu essen, gierig und bedächtig zugleich, mit geübten Handgriffen, stumm und versunken in die Tätigkeit, die offensichtlich ihre liebste war. Everett kaute zahnlos an einem Brotkanten, den er wie eine Mundharmonika hielt.
    Wilbur nickte und besah sich seinen Teller, auf dem neben den Bohnen und dem Kartoffelbrei jetzt auch etwas Undefinierbares lag.
    »Eintopf mit Huhn«, sagte Fedora, als wolle sie Wilburs Bedenken zerstreuen. Der feiste, auf seinem Kinderstuhl thronende König griff nach dem Knochen, richtete ihn auf Wilbur und gab ein paar gutturale Töne von sich. Erst jetzt hörte Wilbur das Plappern und Fiedeln eines Fernsehers, das durch eine Wand drang. Musik schwoll an und Leute klatschten, worauf der Gnom beide Arme in die Luft streckte, als gelte der Applaus ihm. Keiner der selig Schlingenden beachtete ihn, was ihm nichts auszumachen schien.
    Wilbur aß zögernd ein paar Bissen und stellte fest, dass es ihm schmeckte. Er nickte kauend in die Runde, und Barney und Malcolm nickten pausbäckig zurück. Niemand sprach ein Wort in diesem von Schweigen und Schmatzen erfüllten Raum, dessen Wände braungelbes Licht absonderten und machten, dass alles wie in Bernstein eingegossen wirkte. Über die gebeugten Köpfe der Essenden hinweg sah Wilbur massive Schränke, in denen hinter Bleiglasfenstern weiße Teller leuchteten, einen Kühlschrank, groß und silbrig glänzend wie ein Sarkophag, einen Kochherd, dessen schwarzer bauchiger Körper mehr Türchen und Schubladen hatte als ein Adventskalender und über dem Pfannen und Töpfe mit rußigen Böden baumelten. Er sah Regale aus dicken Brettern, krumm unter der Last der Einmachgläser und Konserven, eine Spüle, deren Becken aus hellem Stein überquoll von schiefen Stapeln aus Geschirr und Sträußen versengter Kochlöffel, eine stählerne Maschine, auf der ein Schinken lag, stumpfe Wandkacheln von unbestimmter Farbe, Topflappen, so riesig wie Fanghandschuhe beim Baseball, und überall, wo Platz war, Fotos und Postkarten und Zettel, Zeitungsausschnitte, Gutscheine, Kassenbelege, Kinderzeichnungen und gerahmte Bilder, das Glas überzogen von Fett und Staub und dem Bernsteinlicht, das alles für immer einschloss.
    »Sie wollen sich also in die Karten Ihrer Zukunft sehen lassen«, sagteBarney plötzlich, und alle am Tisch sahen Wilbur an. Sogar der pummelige Zwergenkönig ließ die durchweichte Brotrinde sinken und schien auf eine Antwort zu warten.
    Wilbur verschluckte sich und trank etwas Wasser, dann nickte er vage, wobei ein halbes Kopfschütteln herauskam. Er bemerkte erst jetzt, dass bis auf seinen alle Teller leer waren und Carrie einen Kuchen zerteilte, während Mabel Kaffee machte.
    »Ich hätte Schiss«, sagte der kleinere der Jungen. Er war vielleicht fünf und fischte die Krumen aus dem Kuchenteller, die beim Zerschneiden abfielen. Seine Bemerkung erntete ein paar Lacher. Wilbur lächelte unsicher.
    »Keine Sorge«, sagte Fedora und legte Wilbur ihre Hand auf seine, »Ihren Todestag kann ich nicht voraussehen.«
    »Ich werde

Weitere Kostenlose Bücher