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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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schieben und mit dem Tropf verbinden. Flüssigkeit gelangt in meinen Körper, aber ich habe die Kontrolle darüber, weil ich es erlaube.
    Wenn das Becken sauber war, musste ich auf den Eimer steigen, damit ich die Leiter erreichte. Auf der untersten Sprosse stehend, konnte ich mit dem Stiel des Schrubbers den Eimer am Henkel hochziehen. Dann kletterte ich die fünf Sprossen hoch, warf den Schrubber und den Eimer auf den Boden neben dem Sprungbrett und ging in die kleine, muffig riechende Kammer, die als Umkleidekabine benutzt wurde und über zwei Waschbecken verfügte. Dort wusch ich mir die Hände und Füße mit Seife, bis sie rot und wund waren, krempelte die Hosenbeine runter, zog Strümpfe und Schuhe an und ging nach draußen, um an der frischen Luft auf ihn zu warten. Oft kam der Herr des Tempels erst eine Stunde nachdem ich fertig war. Er zog die Schuhe aus, stieg in das Becken hinab und ging auf die Knie, immer in der Hoffnung, eine von mir nicht gründlich genug gereinigte Stelle zu entdecken.
    Alle sind gegangen. Nur sie nicht. Ich weiß, dass man mir etwas gespritzt hat. Ein Bummelzug aus Beruhigungsmitteln tuckert gemächlich durch meine Venen, Endstation Hirn, Kopfbahnhof. Ich möchte ewig so liegen. Musik dringt aus ihren Ohrstöpseln, Bass, Schlagzeug. Ich lächle, warum lächelt sie nicht? Mein Lächeln liegt unter der Haut, verborgen, deshalb. Sie gibt vor, beschäftigt zu sein, dabei schraubt sie schon ewig am Infusionsregler herum, vor und zurück. Woher hast du die halbmondförmige Narbe an der Wange? Das ist ein Brandzeichen, ich bin Mitglied einer Sekte. Ich verstümmle mich selbst, sieh her, mein Körper ist bedeckt davon. Mir wurde ein Muttermal entfernt. Ich könnte die Frage aufschreiben, aber in diesem Raum hat man mir nicht einmal Papier und Stift gelassen. Er hat sich den Bleistift ins Herz gestoßen. Als wir ihn fanden, war er tot. Kichere ich? Nein, das Geräusch kommt vom Flur. Nächster Halt, Großhirn, dieser Zug fährt weiter nach Sleepy Town, Dreamville und Nightmare City.
     
    Als ich aufwache, ist sie wieder da, oder noch immer. Sie hat einen Stuhl neben das Bett gestellt und liest in einem Buch. Ich betrachte sie aus den Augenwinkeln. Wenn ich den Kopf drehe, merkt sie, dass ich wach bin.
    Ich liege schwer in meinem Körper. Sie wendet eine Seite im Buch. Die zusammengebundenen Haare an ihrem Hinterkopf sehen weich aus, ein Rasierpinsel. Ich bewege die Arme. Sie sieht mich an, und ein Lächeln geht in ihrem Gesicht an wie Deckenlicht in einem hellen Raum. Rasch knickt sie eine Ecke um und schließt das Buch, legt es weg und steht auf.
    »Wie fühlst du dich?« fragt sie und nimmt mein Handgelenk.
    Ich will ihre Hand schütteln, ein Reflex, aber sie misst nur meinen Puls. Dabei sieht sie auf ihre Uhr, ein riesiges Modell, wie es Berufstaucher und Astronauten benutzen.
    »Gut«, sagt sie und legt meinen Arm auf die Decke, sanft, als sei er ein schlafendes Tier. »Du hast geträumt.«
    Er fand fast immer etwas. Dann musste ich noch einmal barfuß hinab und zwei oder drei Fliesen polieren. Dermot Brennan. Mairead Doherty. Seamus Downey. Dabei stand der Mistkerl oben am Beckenrand und sah mir zu, gab Anweisungen und dirigierte mich. Während ich die nur für ihn sichtbaren Schlieren wegwischte, stellte ich mir vor, wie er den Inhalt der beiden Filterkörbe fraß, die ich bei jeder Reinigung leeren musste. Wie er mit vor Übelkeit zittrigen Fingern Brocken aus der kompakten Masse menschlicher Auswürfe und Absonderungen pulte und sich in den Mund stopfte, das Gesicht verzerrt vor Ekel und Scham. Wie er sich übergab und winselte und wie ich ihn zwang, auch sein Erbrochenes zu essen. Ich hatte eine Waffe, eine doppelläufige Schrotflinte, und wenn meine Knie schmerzten und mir die Kiefermuskeln hart wurden vor Hass, schoss ich ihm den Kopf weg. Schoss seinen verdammten Kopf in Stücke und sprenkelte damit die Wände. Saß auf dem Eimer und sah zu, wie sein Blut die Namen bedeckte, ein roter Vorhang, der sich senkt.
    »Bist du hungrig?«
    Bist du hungrig. Orla durfte das fragen, es ist ihre Frage, für immer. Hast du dir wehgetan. Wollen wir spazierengehen. Niemand sonst darf mir diese Fragen stellen.
    »Es gibt eine leckere Karottensuppe. Mit Basilikum. Oder Dill.« Sie sieht mich an.
    In meinem Hinterkopf liegt ein Gewicht, das mich daran hindert,den Kopf zu schütteln, ihn leicht hin und her zu bewegen. Sedimente. Ablagerungen aus Medikamenten.
    »Du musst was essen«, sagt sie und

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