Nach Hause schwimmen
streiche mit der Fingerkuppe über die Fliesen. Páidi O Sé. 1942–1981. Diarmuid Maher. 1961–1972. Bald wird mein Name dazukommen, das Jahr meiner Geburt und das meines Todes. In meiner Armbeuge brennt etwas. Wie viele Leute sind nötig, um mich hochzuheben? Ich hasse den Gedanken, dass dieser Scheißkerl im roten Trainingsanzug mein Leben gerettet hat. Man kann ein Leben nicht retten, das der Gerettete nicht mehr leben will. Es ist, als trage man den Müllsack zu dem zurück, der ihn auf die Straße gestellt hat, und verlange Finderlohn. Ich wollte nicht ertrinken, ich wollte nur nicht schwimmen. Ich hatte keinen Plan. Es war ein Zufall. Das Leben kehrt heim wie ein kurzzeitig verreister Gast, den man aus Pflichtgefühl aufnimmt. Ich beherberge mich, ich gewähre mir Asyl.
Die Stimmen werden leiser, sie verlassen meinen Kopf, meinen Raum. Es wird Nacht. Das Boot, in dem ich liege, hört auf zu schaukeln.
Zimmer kann man das nicht nennen. Menschenkörperaufbewahrungseinheit. Kein Stuhl, auf den man steigen, keine Kommode, von der man sich stürzen, kein Kissenbezug, mit dem man sich ersticken, kein Waschbecken, in dem man sich ertränken könnte. Das Laken ist bestimmt aus einem Material, das sich nicht in Streifen reißen lässt. Keine scharfen Kanten, nirgends. Der Schlauch, der von einem transparenten Beutel in meine Vene mündet, würde nicht einmal dem Gewicht eines Kindes standhalten. Der Beutel hängt an einem polierten armdicken Rohr, von dem keine gefährlichen Teile abgeschraubt werden können. Statt eines Fensters ist ein Lüftungsschacht in die Wand eingelassen, vergittert und unerreichbar. Der Tür fehlt die Klinke. Die Mühe, die beiden Kameras zu verbergen, hat man sich gar nicht erst gemacht.
Wenn ich vorhatte, eine Weile hierzubleiben, ist mir das vermutlich gelungen. Der verwirrte junge Mann aus dem Meer war ich vielleicht gestern, heute bin ich der Typ, der einen Spiegel abgeschraubt hat, um sich mit den Scherben die Pulsadern aufzuschlitzen. Ich bin ein seriöser Fall, ein Wiederholungstäter. Ich setze alles daran, mein Leben zu beenden. Man darf mich nicht aus den Augen lassen. Leute wechseln sichdamit ab, mich zu observieren. Sie essen mitgebrachte Brote, trinken literweise Kaffee und starren auf den Monitor, trauen sich kaum zu blinzeln. Wenn sie aufs Klo müssen, drücken sie einen Knopf, dann kommt jemand und springt für sie ein. Die Kontrolleure werden kontrolliert. Sollte jemand beim Lesen erwischt werden, droht ein internes Verfahren, die Strafen sind massiv. Erwischt man jemanden beim Schlafen, ist die fristlose Kündigung unabwendbar. Ich kann Existenzen vernichten, indem ich heimlich aufhöre zu atmen.
Ich will, dass jemand kommt, und reiße den Schlauch aus meiner Armbeuge. Der Schmerz ist beträchtlich, ich schreie auf. Flüssigkeit rinnt an meinem Unterarm hinab und tropft auf das Laken. Gerade will ich mich aus dem Bett fallen lassen, als die Tür auffliegt und zwei Männer sich auf mich stürzen, um mich daran zu hindern, mir beim Sturz aus vierzig Zentimetern Höhe das Genick zu brechen. Beinahe muss ich lachen.
»Entspann dich, mein Freund«, sagt der eine Pfleger.
»Immer schön ruhig bleiben, Kumpel«, sagt der andere.
Sie sind freundlich, ihre Stimmen angenehm, das ist ihr Job. Ich bin entspannt und ruhig. Ich bin ihr Freund, wir könnten irgendwann zusammen ein Bier trinken gehen. Ich will ihnen keinen Ärger machen. Ich will ein guter Patient werden, ein harmloser Insasse.
Der Arzt eilt an mein Bett. Ich würde ihm gerne versichern, dass er meinetwegen nicht hätte rennen müssen. Dann würde ich ihm die Sache mit dem Spiegel erklären, das Missgeschick mit lebhaften Worten schildern, und wir würden alle lachen. Natürlich müsste man mich noch eine Weile hierbehalten, nur zur Sicherheit. Aber man würde mich zurückstufen und mir erlauben, Pingpong zu spielen. Ich käme wieder auf die Station, wo die spanisch sprechende Schwester ist und die dicke. Ich hätte ein Fenster, einen Stuhl und eine Kommode. Während der Arzt geübt und mit warmer Stimme auf mich einredet, sitzen die beiden Männer links und rechts von mir auf dem Bett. Sie müssen mich nicht festhalten, ich liege ganz still, beinahe entspannt.
Dann kommt sie. Das Heftpflaster ist weg. Unter einem Rechteck Haut, das eine Spur bleicher ist als der Rest, sehe ich eine gebogene Linie, einen hellroten Halbmond. Abgelenkt von den Worten des Arztes, lasseich mir von ihr die Kanüle in die Armbeuge
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