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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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hob. Zwischen verfilztem Gras wuchs der Stiel eines Werkzeugs, und als Eamon ihn umfasste und anhob, brach das morsche Ende und ließ den rostigen Klotz eines Hammers in der Erde zurück. Gedankenlos vor Erschöpfung und erfüllt von rasendem Eifer, kniete Eamon sich hin und barg mit beiden Händen den Kopf aus Metall, wischte Erde davon ab und betrachtete ihn, als sei er aus dem Himmel gefallen. Das Eisen lag kalt in seinen Handflächen, und es dauerte lange, bis sein Verwendungszweck ihm dämmerte.
    In der Werkstatt schälte er mit einem Meißel das verfaulte Holz aus dem Loch und schlug mit der Axt einen Zaunpfahl zurecht. In der Unordnung, die von staubbedeckten Spinnweben zusammengehalten schien, fand er einen Metallkeil, hielt ihn in der Hand und erinnerte sich nach einer Weile, wozu er da war. Dann setzte er sich inmitten der Verwahrlosung auf den Boden und sah aus der Tür. Launische Böen fuhren ins Gras, aus dem kleine Vögel wirbelten und in dem sie flatternd wieder verschwanden. Der Pfad, auf dem vor langer Zeit die Schafe zu den Weiden trotteten, war zugewachsen und holte in Eamon keine Erinnerung hervor. Da war kein Korridor mit Bildern und Stimmen, kein Licht und Glück und keine Musik. Da war nur ein Loch, gegraben von einem Tier, das längst tot war. Die Kälte aus dem Boden wuchs in Eamon empor, aber er spürte sie nicht. Er ging auf alle viere und zog sich an der Steinmauer hoch, nahm das Werkzeug und stapfte zurück an seinen Bestimmungsort. Er dachte nicht an die Zeit, nicht an die Tage und Wochen, die vor ihm lagen, als er den Keil an den Stein setzte. Er hatte vergessen, dass es ein Leben gab, ein Ende und einen Sinn. Als der Hammer auf den Keil traf und Splitter aus dem Fels schlug, war ihm auch die Existenz der Sonne entfallen, die endlich durch die versprengten Wolken brach und seinen krummen Rücken aus der Farblosigkeit des Hügels löste, um ihn zu wärmen, um ihn zu verhöhnen.
     
    Die Häuser der Stadt wuchsen spiralförmig den Hügel hinauf, dessen Spitze der mit Quarzsteinen und einer Blesshuhnfeder geschmückte Palast krönte. Eine Palisade aus geschälten Ästen umgab den quadratischenHof, den der Reiter, nachdem er den purpurnen Rhododendronblütenfluss überquert hatte, durch einen Torbogen aus weißen, einander zugeneigten Vogelknochen erreichte. Fein geriebener Torf lag auf dem gewundenen, gemächlich ansteigenden Weg, mattschwarze Miesmuscheln und faltige Rindenstücke trennten ihn vom Sand, der im Sonnenlicht glitzerte. Der Reiter hatte eine schlechte Nachricht zu überbringen. Häuptling Wilbur und sein treues Pferd sollten noch einen ganzen Monat in der Gefangenschaft der schrecklichen Herrscherin Ferguson und ihrer Schergen bleiben, so hatte es der Rat der finsteren Mächte beschlossen.
    Die Indianer stimmten einen Wehgesang an, und Orla gab sich Mühe, besonders laut zu klagen. Wilbur jammerte nur leise, es war ihm ein wenig peinlich.
    »Nicht lachen«, sagte er zu seiner Großmutter.
    »Ich lache nicht«, sagte Orla. Dann lachten beide, und das große Wehklagen der Indianer war vorüber. Nachdem die Pferde versorgt und in einem prächtigen Stall aus geschälten Ästen und Moos untergebracht waren, setzten sich die verbliebenen Angehörigen des Stammes an eine lange Tafel, die aus einem Stück angeschwemmtem Kistenholz bestand, und aßen. Orla hatte einen Apfelkuchen gebacken und Limonade aus Melisse und Honig gemacht.
    »Wir könnten ins Schulhaus einbrechen, nachts, und sie befreien«, sagte Wilbur. Sie saßen im Schatten und spürten die Wärme, die von der Mauer in ihre Rücken gepumpt wurde. Ab und zu verscheuchten sie eine Wespe, die im Limonadenkrug brummte.
    »Und all die anderen Sachen in der Kiste«, sagte Orla.
    Wilbur biss vom Apfelkuchen ab und überlegte. Kein Schüler hatte die Kiste je gesehen, und doch wusste jeder von ihrer Existenz. In ihr wurden die konfiszierten Gegenstände verwahrt, die Comic-Hefte, Kaugummis, Steinschleudern, Gummibälle, Matchbox-Autos und all die Dinge, die in der Schule verboten waren. Eine Schatztruhe, da war sich Wilbur sicher.
    »Wir könnten die Leiter mitnehmen«, sagte Wilbur. »Und ein Seil.«
    »Und wenn wir erwischt werden?« Orla passte auf, dass keine Wespe auf Wilburs Kuchen landete. Sie trug ein knöchellanges Kleid ausblauem Stoff, keine Schuhe und einen großen Strohhut, um den ein gelbes Band gewickelt war.
    Wilbur dachte erneut nach. Eine Wolke setzte sich vor die Sonne. Er nahm die Hand herunter, die er als

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