Nach Hause schwimmen
in Wilburs Zimmer stapelten. Er lauschte ihr mit der erstaunten Andacht und der unterdrückten Begeisterung, mit der ein Forscher den Lockrufen eines unbekannten Tieres lauscht. Der U2-Song Desire baute in ihm Berge von Genügsamkeit ab und trieb Stollen in sein Innerstes, durch die Helligkeit flutete, Begehren und Verwirrung. Angefüllt mit heißer Schokolade und Musik, saß er auf seinem Stuhl, zuckte fiebrig mit den Fingern und öffnete den Mund, als schlucke er die Töne. Manchmal schloss er selbstvergessen die Augen, dann ruckte sein Kopf vor und zurück, und seine Ohren, den Klängen entgegengewölbte Schüsseln, leuchteten. Öffnete er in der kurzen Stille zwischen zwei Stücken die Augen, lief er rot an und verbarg sein Gesicht hinter der Tasse, deren Glasur die Farbschichten von Torf imitierte.
Orla betrachtete die beiden Freunde mit gemischten Gefühlen. Sie freute sich für Wilbur, der jemanden brauchte, der nicht über ein halbes Jahrhundert älter war als er, einen Gefährten, mit dem er über Dinge reden konnte, über die er mit ihr nicht sprach, und in dessen Gesellschaft er lernen konnte, dass er nicht der einzige Junge auf der Welt war, der täglich vor neuen Rätseln des Universums stand. Aber sie bedauerte auch, dass sie ihren Enkelsohn mit Conor teilen musste, dass er nicht mehr seine ganze Zeit mit ihr verbringen wollte. In dem Maße, in dem die gemeinsamen Stunden für ihn an Wichtigkeit zu verlieren schienen, gewannen sie für Orla an Bedeutung. Die Nachmittage und Sonntage, an denen Conor nicht auftauchte, wurden für Orla noch kostbarer als zuvor, und wenn sie zusammen eine neue Stadt erbauten oder in ihrem blauen Auto durch die Gegend fuhren, kostete sie jeden Augenblick aus, als könnte es der letzte sein. Nachts blieb sie oft noch Stunden wach, saß an Wilburs Bett und sah ihn an, oder sie lag in dem Klappbett, auf dessen Anschaffung Wilbur aus Sorge um ihren Rücken bestanden hatte, und horchte auf die Geräusche, die das schlafende Kind von sich gab.
Es kam vor, dass sie am Fenster stand und zum Hügel sah, auf dem die beiden Jungen saßen, und mit den Tränen kämpfte. Dann wandtesie sich ab, machte heiße Schokolade und rief sich in Erinnerung, dass Wilbur erst acht war und es noch mindestens sieben Jahre dauern konnte, bis er mit Conor oder anderen Burschen aus dem Ort um die Häuser ziehen, Mädchen interessant finden und Dummheiten begehen würde.
Es war nicht kalt, die Sonne strengte sich an. Ständig kamen Wolken daher, fette Spielverderber, die aufs Feld rannten und blieben, bis sie ihr albernes Tun leid waren und weiterzogen. Der Wind hatte etwas Fahriges, nestelte in den Büschen und rüttelte ein wenig an der roten Tür, dann legte er sich hin und drückte das Gras auf die Erde. Ein Flugzeug zog einen Schnitt ins Blau, aus dem weiße Füllung quoll. Wilbur und Conor saßen auf ihrem Hügel, die Füße nach England gerichtet. Sie lutschten Bonbons, die ihre Zungen schwärzten, und seit einer Stunde schwiegen sie. Auf Orlas Geheiß hatten sie sich Pappe unter die Hintern gelegt, gegen die Feuchtigkeit, die der Boden barg. Ab und zu verscheuchten sie eine Fliege, schlürften den Lakritzesaft durch die Zähne und blinzelten.
»Wenn man tot ist, was kommt dann?« fragte Conor irgendwann. Er sah ein paar Schafen nach, schmutzigweißen Punkten, die sich über einen der Hügel bewegten.
Wilbur kniff die Augen zusammen, kratzte sich am einen Bein und dann am andern. Er ließ sich mit seinen Antworten immer viel Zeit. Leute, die ihn nicht kannten, dachten, er habe sie nicht gehört, und wiederholten die Frage. Seine Mutter war im Himmel, das wusste er von Orla. Vor ein paar Wochen hatte sie sich am Küchentisch ganz nahe neben ihn gesetzt und ihm alles erzählt. Dass seine Mutter zu schwach gewesen und gestorben sei, nachdem sie ihm das Leben geschenkt habe, und dass sein Vater so traurig gewesen sei, dass er davongerannt war. Sie hatte ihm ein Buch gezeigt, in dem ein farbiges Bild war, die Zeichnung von einem Baby, das im Bauch der Mutter liegt, eingerollt und mit geschlossenen Augen wie eine winzige nackte Maus.
»Da sind die Meinungen geteilt«, sagte er schließlich, nachdem er sich ein neues Bonbon in den Mund gesteckt hatte. Den Satz lieh er sich vom jungen McSweeney, der in einer weißen Schürze hinter der Fleischtheke stand und seinen Vater damit ärgerte, dass er die Kundschaft in aussichtsloseDiskussionen verstrickte. Fragte ihn eine arglose Hausfrau, was er von
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