Nach Hause schwimmen
Bücher und schrieben lange Briefe an ihre Eltern.
Deirdre hatte sich in Galway in einen jungen Mann verliebt, der nach England gegangen war, wo er, wie seine drei Brüder, Arbeit auf einer Schiffswerft fand. Jede Woche kam ein Brief von ihm, in dem er ihr in sperrigen, aber von Herzen kommenden Worten schrieb, wie sehr sie ihm fehlte. Schon nach wenigen Monaten teilte er ihr mit, er sei todunglücklich in England, vermisse Deirdre und seine Familie und seine Stadt und komme mit dem nächsten Schiff zurück. Kaum hatte Brendan Cavanagh in Galway irischen Boden betreten, heiratete er Deirdre, und Orla war in Dublin alleine mit dem Mann, dessen Wesen sie mit jedem Tag weniger verstand.
Eamon hatte gehofft, Orla würde die Schatten seiner Vergangenheit mit ihrem inneren Feuer verbrennen, würde mit ihrem Lachen die dunklen Gedanken vertreiben, die ihn besetzt hielten wie Krähen einen Turm. All das Geld würde eine Berechtigung erhalten, dachte er, wenn er es für Orla ausgäbe. Läge sie jede Nacht bei ihm, hörten die Träume bestimmt auf, die hell erleuchteten Albträume, in denen er einem Mann eine Wolldecke auf das Gesicht drückte, in denen er Goldstücke aus einem Boot klaubte und gierig verschluckte und in denen er sich in der engen Höhle eines Tieres verkroch, um sein verzerrtes Spiegelbild im blanken Metall eines Revolvers zu betrachten und aufzuschreien vor Entsetzen.
Aber seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. Orla lenkte ihn ab und riss ihn aus dem Brüten über seine Sünden heraus, sie warf einen Lichtstrahl in das Loch im Hügel, in dem seine Seele hockte und darauf wartete, erlöst zu werden. Ihre Anwesenheit zwang ihn, unter Menschen zu leben und ihre Sprache zu sprechen, nötigte ihn zu Worten, Gesten, Zeichen von Anteilnahme. Sie half ihm, mit dem Trinken aufzuhören. Was Orla nicht konnte, war, ihren Mann vor seinen Dämonen zu beschützen, ihn mit ihrer Liebe und mit der Kraft ihres Lebens davor zu bewahren, in den langen vor ihnen liegenden Jahren den Verstand zu verlieren.
Hand in Hand gingen sie durch die Stadt, die Wilbur Angst einjagte und zum Staunen brachte. Oft drängten sich so viele Menschen aneinander vorbei, dass Orla ihn an sich zog und vor einer Hausmauer wartete, bis die Flut aus Körpern verebbt war. Dann legte sie ihm beide Hände auf die Schultern oder die Brust, und Wilbur sah den fremden Leuten nach und verspürte kein Verlangen, jemals etwas mit ihnen zu tun zu haben. Nahm das Geschiebe ab, mischten sich die beiden wieder unter die Passanten und schlenderten zu ihrem nächsten Ziel, das sie noch nicht kannten. Vor einem Kino blieb Wilbur stehen und wollte wissen, was sich in dem Gebäude befinde, unter dessen Vordach sie auf dem Gehsteig standen und das man durch zwei Doppeltüren betreten und verlassen konnte. Orla erklärte es ihm und hob ihn hoch, damit er die farbigen Bilder sehen konnte, die in Schaukästen links und rechts neben dem verglasten Kassenhäuschen hingen, in dem eine dünne Frau saß und eine Illustrierte las.
Die Bilder zeigten ein Hochhaus, aus dem eine Blase gelben Feuers wuchs, und einen Mann mit schwarzem Gesicht, der Wilbur an den Krieger erinnerte, dessen Fotografie er in einem Bildband über Afrika gesehen hatte. Auf dem Bild, das Wilbur am meisten faszinierte, saß ein Mann, den Rücken gegen eine Wand gelehnt, am Boden und hielt einen Revolver in der Hand, mit dem Cowboys auf Indianer schossen. Der Mann trug ein weißes Unterhemd wie der Mechaniker, der im Sommer fast im aufgerissenen Maul von Orlas Auto verschwunden war. Das Unterhemd des Mannes, der müde aussah und trotzdem stark, war zerrissen und blutbefleckt, sein Gesicht und seine Arme waren schmutzig und mit Schnitten übersät.
Orla ging mit Wilbur rasch weiter zum nächsten Schaukasten, in dem bunte Bilder eines Trickfilms hingen, und sagte etwas, das Wilbur nicht verstand, weil er nicht zuhörte. Er schielte zum Bild mit dem blutüberströmten Mann, während Orla redete, und er fragte sich, was mit dem Mann passiert sein mochte. An Conor dachte er, dem Blutspritzer als schiefe Spur über das Hemd gelaufen waren, Punkte einer unsichtbaren Krawatte.
Zwei Halbstarke stellten sich vor die Schaukästen, beide in schwarzen steifen Lederjacken, in denen sie steckten wie Käfer in ihren Panzern.Der eine erzählte dem anderen von dem Film, schuf beidarmig Explosionen, stieß ihn aufgeregt lachend in die Seite und ahmte mit geiferndem Mund und die Hände um ein unsichtbares Gewehr
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