Nach Hause schwimmen
Ehrgeiz, der sich aus einem absurden Gefühl der Minderwertigkeit nährte. Wo ihr Intelligenz und Phantasie fehlten, behalf sie sich mit Verbissenheit. Sie glaubte an sozialen Aufstieg, beruflicher Erfolg war ihre Religion. Wenn der selbstauferlegte Druck zu groß und sie schwach wurde, was seltengeschah, kam die Frau zum Vorschein, von der Matthew manchmal glaubte, er könne sie sehen, gut gepolstert hinter Disziplin und Stolz. Dann weinte sie ein bisschen und erzählte ihm von ihren Träumen, in denen tropische Wälder vorkamen, breite Ströme und ein Floß, dessen Stämme sie selber gefällt hatte. Dann wurde sie weich, und er tröstete sich mit dem Gedanken, sie vielleicht doch zu lieben, nicht so, wie seine Eltern sich geliebt hatten, aber immerhin genug, um mit ihr zu leben. Ihre Eltern reisten zur Hochzeit aus Manchester an, wo sie eine Kohlehandlung führten, übernachteten einmal im Hotel und schenkten dem Paar eine Waschmaschine.
Als der Junge zur Welt kam, wurde Matthew daran erinnert, was Glück war. Seine Fähigkeit zu lieben, die durch das Leben an Cynthias Seite verkümmert war, wuchs zu einem überwältigenden Gefühl, das ihn alle Bitterkeit und Reue vergessen ließ. Während Cynthia eine Weiterbildung zur Forstökonomin machte und abends und an den Wochenenden lernte, wie Wälder am gewinnträchtigsten bewirtschaftet wurden, gab Matthew seinen Beruf fast völlig auf und kümmerte sich um seinen Sohn. Er war ein hingebungsvoller Vater, obwohl er sich bis zu Williams Geburt nie ernsthaft überlegt hatte, ob er einer werden wolle, und falls ja, ob ihm die Aufgabe liegen würde. Er dachte, er würde das Unterrichten vermissen, die Studenten, seinen Raum in der Universität, den ganzen Betrieb, aber das war nicht der Fall.
Er spielte William auf dem Cello vor und entlockte dem Instrument Geräusche, derer er sich früher geschämt hätte, nur um den Jungen zum Glucksen zu bringen. Sie gingen spazieren, sahen sich im Zoo die seltsamsten Tiere an und lagen nebeneinander auf den Wiesen von Parks und formten die Wolken nach ihren Wünschen. Sie kauerten in Bächen und wendeten jeden Stein, um darunter Welten zu entdecken. Ein Teich wurde zum Ozean, den sie auf Papierschiffen überquerten, bei Regen saßen sie am Küchentisch und bauten aus Fundstücken eine Maschine, die Glück herstellte.
Als William vier Jahre alt war, zog die Familie nach London, wo Cynthia eine Stelle beim Umweltministerium erhalten hatte. Jetzt sah Matthew seine Frau überhaupt nicht mehr, und William blickte seinen Vater ratlos an, wenn der das Wort Mutter benutzte. Ein halbes Jahrspäter einigten sich Matthew und Cynthia darauf, eine Weile getrennt zu leben. Matthew und William fuhren zurück nach Norwich und wohnten von nun an mit einer alten Dame, der sie das Haus vermietet hatten, unter einem Dach. Eigentlich hatte Miss Baldwin vorgehabt, einen alleinstehenden Herrn als Wohngenossen zu finden, aber die neue Situation gefiel ihr noch besser. Sie war vierundsiebzig und blühte in der Gesellschaft der beiden Männer noch einmal richtig auf. Obwohl sie nie verheiratet gewesen war, liebte sie Kinder über alles. Wenn sie an zwei Nachmittagen in der Woche, an denen Matthew Unterricht gab, auf William aufpasste, wollte sie den Jungen am Abend gar nicht mehr hergeben.
Irgendwann war es zur Gewohnheit geworden, dass die drei gemeinsam aßen, im Park spazierten und sich im Radio Konzerte und Liveberichte von Fußballspielen anhörten. Miss Baldwin war Anhängerin des FC Norwich City, und bald saß das Trio bei jedem Heimspiel im Stadion. Im Gegenzug brachte Matthew ihr die Welt der klassischen Musik näher, spielte ihr auf dem Cello vor, schenkte ihr Schallplatten und lud sie zu Konzerten ein. Es war ihm egal, was die Nachbarn von ihm dachten, und wenn er Agnes einmal pro Woche zum Essen ausführte, sollten die Leute eben denken, sie sei seine Mutter. An diesen Abenden engagierte er eine Babysitterin für William, eine junge Frau, der er das Cellospiel beibrachte und die dem Jungen Kostüme schneiderte, Peter Pan, Prinz Eisenherz, Buffalo Bill.
Alle zwei Monate setzten sich Matthew und William in den Zug und fuhren nach London, um ein paar Stunden mit einer Frau zu verbringen, die auf dem Papier Matthews Gattin und biologisch gesehen Williams Mutter war. Alles in Cynthias Leben fand zwischen Tür und Angel statt, zwischen Lunch und Dinner, einem Meeting und dem nächsten. Sie überhäufte ihren Sohn mit Geschenken, lauter Dingen, mit
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