Nach Hause schwimmen
denen der Junge nichts anzufangen wusste, und zeigte ihm Prospekte von Privatschulen, als deren Schüler sie ihn bereits sah. William versprach, die Unterlagen zu studieren und eine Liste mit seinen Favoriten anzulegen. Zu Hause in Norwich landeten die Hochglanzbroschüren im Abfall, denn der Junge hatte sich längst für eine Karriere als Profifußballer oder Höhlenforscher entschieden. Matthew wollte nicht mit seiner Fraustreiten und sagte ihr deshalb nicht, für wie unsinnig er es hielt, einen Fünfjährigen mit der Planung seiner Zukunft zu behelligen.
In den Londoner Nächten arbeitete Cynthia an Matthew etwas ab, das sie als ihre Pflicht betrachtete und dessen technische Ausführung sie in Büchern nachgeschlagen hatte, als handle es sich dabei um Anleitungen zur Bepflanzung von Steilhängen oder den Schutz von Jungwuchs vor Wildverbiss. Zum Geschlechtsverkehr im eigentlichen Sinn kam es dabei nicht, denn Cynthia wollte kein zweites Mal das Risiko eingehen, schwanger zu werden. Hatte Matthew zu Beginn noch voller Staunen und in einer Mischung aus gestauter Lust und Masochismus auf die neu erworbenen Fertigkeiten seiner Frau reagiert, so wehrte er sich schon bald gegen die immer hastiger und unsinnlicher ausgeführten Zuwendungen, indem er sich einfach umdrehte und tat, als schlafe er. Cynthia schien ein wenig enttäuscht zu sein, aber auch erlöst. Jedenfalls ließ sie ihn in Ruhe, und beim nächsten Besuch schlief sie in ihrem Bürozimmer.
Es war während eines dieser Kurzaufenthalte in London, als die Welt aufhörte, sich zu drehen. William war sechs Jahre alt und der hellste Stern in Matthews Universum. Er hatte die schwachen Augen seines Vaters geerbt, aber auch dessen kräftigen Körperbau und die dunkelbraunen Locken. Der Junge konnte einfache Stücke auf dem Cello spielen, freihändig Fahrrad fahren und einen flachen Stein ein Dutzend Mal über das Wasser hüpfen lassen. Er wusste, wie eine Amsel sang und wie eine Meise, kannte alle Spieler des FC Norwich City, zeichnete Pferde, die als solche zu erkennen waren, und mähte den Rasen vor dem Haus zwei Minuten und elf Sekunden schneller als sein Vater.
Sie besichtigten eine Privatschule im Westen der Stadt, Cynthia hatte darauf bestanden. Es war Ferienzeit, und mehrere Eltern kamen mit ihren Kindern, um sich die leerstehenden, deshalb aber nicht minder imposanten Gebäude zeigen zu lassen. Eine Frau in einem dunkelgrauen Kleid führte sie durch Schlafsäle und Turnhallen, Unterrichtsräume und endlose Flure. Sie sahen in eine Kapelle, eine Küche und eine düstere Bibliothek. Matthew hielt seinen Sohn die ganze Zeit an der Hand, während Cynthia die grau gekleidete Frau mit Fragen überhäufte.
Am nächsten Morgen hatte William Kopfschmerzen und leichtes Fieber, das in der Nacht höher wurde. Im ersten Tageslicht eilte Matthew los, um bei einer Notfallapotheke Medikamente zu besorgen, und als er zurückkam, saß Cynthia schluchzend auf Williams Bett und versuchte den apathischen Jungen anzukleiden. Das Sekretariat der Privatschule hatte angerufen und ihr mitgeteilt, vier Kinder, die am Besichtigungstermin teilgenommen hatten, lägen mit Hirnhautentzündung im Krankenhaus.
Ein Ambulanzwagen und ein Taxi wurden losgeschickt, um Matthew und Cynthia und ihren Sohn zur Klinik zu fahren, wo über einen ganzen Flügel Quarantäne verhängt worden war. Am Nachmittag des folgenden Tages starb ein zwölfjähriges Mädchen, am Abend William. Der Ruck, mit dem die Erde zum Stillstand kam, war so heftig, dass der Boden unter Matthews Füßen wegrutschte.
William wurde auf dem Friedhof beerdigt, der nur wenige Minuten vom Haus entfernt lag und in dessen Steinmauern Eidechsen lebten. An Sommertagen hatten er und sein Vater oft stundenlang vor diesen Mauern gesessen und den Tieren zugesehen, wie sie sich sonnten und Insekten jagten, grün schimmernde Leiber, die in den Ritzen verschwanden, wenn William die Hand nach ihnen ausstreckte. Cynthia hatte bei ihrem Arbeitgeber eine Freistellung auf unbestimmte Zeit beantragt und lebte wieder bei ihrem Mann. Agnes Baldwin fand ein Zimmer ein paar Häuser entfernt und wurde im örtlichen Tierheim tätig, um nicht gänzlich in Schmerz und Trauer zu versinken.
Matthew war drei Monate krankgeschrieben, eine Cellistin aus Polen übernahm seine Unterrichtsstunden. Er ging jeden Tag zu Willliams Grab, weinte, bis er keine Tränen mehr hatte, und verdöste ganze Nachmittage in einem verdunkelten Zimmer. Nachts trank er,
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