Nach Norden, Strolch
die gereizte Dame. »Erwartest du von mir, ich soll mir über deinen Koffern den Rücken zerbrechen?«
»Dann packen Sie nicht«, sagte Oktober und kehrte zu ihrem Buch zurück.
Sie nahm ihr Abendessen allein in ihrem Zimmer ein. Sie las, den Kopf auf eine Hand gestützt, als Mrs. Elmer in knisternder schwarze Seide zu ihr hereinflatterte.
»Herr Pfarrer Stevens ist da«, flüsterte sie, als sei diese Nachricht zu heilig, laut ausgesprochen zu werden.
Oktober legte ihr Buch hin, wobei sie vorsichtig das Lesezeichen befestigte, schüttelte ihre Haare mit einer schnellen Bewegung zurück und stand auf.
»Was will er denn eigentlich?« fragte sie überraschenderweise. Mrs. Elmer fiel nicht in Ohnmacht. »Du wirst doch getraut, nicht wahr?« fragte sie heftig.
»Ach so!«
Normalerweise war der Salon im Birkenhof ein kahles, freudloses Zimmer. Man hatte versucht, das Zimmer durch Blumen freundlicher zu gestalten. Mr. Elmer in seiner Sonntagskleidung und Pfarrer Stevens in Schwarz waren imposante Erscheinungen. Ebenso imposant wirkte Johnny Woodgers, der Gärtner, seine Frau und Arthur Fingel, der Kassierer der Bauernbank, mit Martha Dimmock, der Witwe, die als die beste Freundin von Mrs. Elmer galt. Oktober sah sich umsonst nach Sam um.
»Du hast das Blaue ja doch nicht angezogen!« flüsterte Mrs. Elmer. »Das Kleid da sieht viel zu heiter aus -«
»Ich fühle mich auch heiter«, sagte Oktober deutlich. Pfarrer Stevens flüsterte gerade mit Andrew Elmer, worauf Mr. Elmer das Zimmer verließ. Dies war die Gelegenheit, auf die Mr. Stevens gewartet hatte. Er durchquerte das Zimmer auf Zehenspitzen. Er benahm sich wie in Gegenwart eines soeben Verschiedenen.
»Sie sind im Begriff, ein neues Leben Zu beginnen«, sagte er. »Ein Leben, das die Ausübung aller Tugenden erfordert
»Wo bleibt denn nur der Sam?« fragte Oktober. »Ich möchte ihn mir noch einmal gründlich ansehen, bevor ich mich endgültig entschließe.«
»Er wird gleich hier sein.«
Pfarrer Stevens war verärgert. Das war die Wirkung, die Oktober stets auf ihn ausübte. Er selber hatte es auch nötig, seine ganze Tugend aufzuwenden, wenn er mit ihr zusammengebracht wurde. Zu sagen, daß er sie durchaus nicht mochte, ist weniger als die Wahrheit. Er freute sich nur auf den Tag, wo sie aus seinem Kreis verschwinden sollte, um in lutheranische Gewässer überzugehen.
»Sie stehen vor einer neuen -«
Der Klang von Stimmen drang leise von der Straße herein, aber es mußten sehr laute Stimmen sein, daß sie überhaupt so weit dringen konnten. Irgend jemand lachte blöd.
»- ein neues Leben, wie gesagt. Nur einen sicheren Führer gibt es, selbst für die kleinsten Fragen.«
Die Stimmen waren jetzt so laut, daß er innehielt. Die Tür wurde aufgerissen. Mr. Elmer trat rückwärts herein, erregt mit den Händen fuchtelnd. Ihm folgte, taumelnd, Mr. Water junior im Gehrock, mit einem sehr geröteten Gesicht, und schrie so laut er nur konnte.
Die kleine Gruppe, die ihm folgte, brach in das Zimmer ein. Sam Water sah sehr eigenartig aus. An seinem Spazierstock war eine Fahne befestigt, und diese schwenkte er heftig. Ohne Hut und mit den deutlichen Spuren eines Handgemenges an sich sah er nicht anders aus als seine Freunde.
»Hier ist er! Hurra! Schnell, los mit der Trauung! Raus mit dir!« Dieses galt seinem tobenden Vater.
Dann rief er mit einem Triumphgeheul, wobei seine Begleiter getreulich den Chor bildeten: »Ich nehme dich beim Wort, November Jones, Dezember Jones, nehme dich beim Wort, November Jones, September Jones! Du wirst was erleben!«
In diesem Augenblick erblickte Oktober den Strolch. Er wurde von eifrigen Händen vorgeschoben und stand schwankend vor ihr. Seine Augen waren glasig, seine Miene etwas verstört, und irgend jemand hatte seinen Rock so zerrissen, daß nur ein Ärmel übriggeblieben war.
»Verzeihung!« sagte er heiser.
Verzeihung? Sie sah ihn durchdringend an. Ein einziges Wort, aber es bestimmte ihre Handlungsweise. Bis zu diesem Augenblick hatte sie nur Wut und Verachtung empfunden.
Mr. Elmer fand die Sprache wieder.
»Was zum Teufel soll das alles bedeuten?« schrie er. »Was habt ihr denn vor? Raus mit euch, ihr Trunkenbolde! Raus mit euch!«
»Vorhaben?« Sam schritt herausfordernd auf ihn zu. »Sie hat gesagt, daß sie lieber einen Strolch heiraten würde - Wort halten! Das ist es. Hier ist der Strolch. Ihn heiraten … Das ist es!«
In das Gesicht Oktober Jones’ trat ein Ausdruck, den keiner, der ihn sah,
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