Nach Santiago - wohin sonst
Wegen und kleinen, praktisch nicht befahrenen Straßen durch Weiler und Dörfer führt. Sie ist etwas länger, aber die paar Kilometer mehr nehme ich gerne in Kauf.
Dazu führt mich die Variante an „Monsenors“ Haus vorbei, einem Maler, dessen Name von Pilger zu Pilger weitergereicht wird, der mit dem Jakobsweg identifiziert wird und der an der Renaissance der Mystik des Jakobsweges „mitschuldig“ ist. So wie Pablito in Azqueta, der Pilger zur Jause einlädt und sie mit einem Pilgerstab ausrüstet. Oder Jorge in Milanos, der ebenfalls alle vorbeikommenden Pilger, derer er habhaft werden kann, bewirtet und sie in seinem „Libro de Oro“ verewigt. Oder Doña Maria in Azofra, die sich am Abend auf die Suche nach Pilgern macht, denen sie den Weg zur Herberge zeigt. Oder Pablo Payo in Villalcazar, der in seinem Wirtshaus immer einen Tisch für Pilger freihält. Oder der Pfarrer von San Juan Ortega, der die Pilger jeden Abend mit einer „Sopa de Ajo“ (Knoblauchsuppe) und einem Glas Wein verköstigt.
Bei „Monseñor“ bekommt man immer was zu trinken, manchmal übernachten und essen Pilger auch bei ihm. Ich gebe mich mit einem Liter Wasser zufrieden — es ist heiß! — und mache mich gleich wieder auf die Socken, denn Astorga ist noch weit.
Der Jakobsweg ist nicht nur eine, sondern besteht aus mehreren ineinander verflochtenen Perlenketten. Da ist einmal die Kette, deren Perlen aus all den Klöstern, Kirchen, Kapellen und Einsiedeleien bestehen, die zum Verweilen, Besinnen und Kraftschöpfen einladen — seit mehr als tausend Jahren! Plätze der Kraft auf dem Weg der Kraft. Die zweite Kette bilden all die Menschen, die am Weg leben, sich mit ihm identifizieren und ihn durch ihre Gastfreundschaft erst mit Leben erfüllen. Ebenfalls Plätze der Kraft, in jeder Hinsicht, geistig und unmittelbar physisch! Und da gibt es noch meine private, ganz persönliche Perlenkette mit all den Plätzen, an denen ich das Ritual meiner Mittagsrast und Siesta vollziehe. So wie heute am Ufer eines Baches im Schatten einer riesigen Weide.
Meine Laune bleibt auf der Skala weit oben, als ich feststelle, daß auch der Weg von Hospital de Órbigo nach Astorga großteils — bis auf die letzten vier Kilometer, ein Klacks! — abseits der Straße verläuft, manchmal sogar durch Wälder. Ein Hinweis darauf, daß die Meseta jetzt endgültig hinter mir liegt.
Hospital de Órbigo war als Niederlassung der Johanniter (1184) ein wichtiger Stützpunkt auf dem Jakobsweg, die Steinbogenbrücke aus dem 13. Jahrhundert bringt heute noch die Pilger über den Fluß Órbigo.
Ich bin so früh in Astorga, daß ich mich — nachdem ich meinen Rucksack im Refugio deponiert habe — noch als Tourist betätigen kann. Die Stadt, Schnittpunkt von sechs (!) uralten Verkehrsachsen, hatte nach Burgos die meisten Pilgerherbergen auf dem Jakobsweg, da hier der Strom der Pilger aus dem Süden — von Sevilla kommt der „Camino Mozarabe“ — in den „Camino Francés“ mündete. Neben der Kathedrale, 1471 nach dem Vorbild der „Leonina“ errichtet, sind noch der neugotische Bischofspalast von Gaudi und die gut erhaltenen Reste der römischen Stadtmauer einen Besuch wert.
In der Herberge herrscht eine eigenartige Atmosphäre. Eine Gruppe von Franzosen ist gerade mit dem Zug aus Bordeaux angekommen, morgen früh wollen sie mit ihrem Führer aufbrechen. Anscheinend habe ich es mit einer Gruppe zu tun, die sich über ein Reisebüro für diese Trekking-Pilger-Tour gefunden hat. Die Stimmung ist gänzlich anders, als ich sie in den Refugios bisher erlebt habe. Die Gruppe kommuniziert nicht nach außen, und obwohl ich fließend Französisch spreche, gelingt es mir nicht, mehr als äußerst karge Wortspenden aus ihnen herauszulocken. Keine Neugier, keine Fragen, kein Austausch von was auch immer, wie es sonst in den Herbergen üblich ist. Und schon gar nicht das Zusammenschmeißen von Lebensmitteln und das gemeinsame Abendessen, wie ich es auch schon erlebt habe. (Jeder der zwölf hat sogar seinen eigenen Kocher mit!) Ich kann nur hoffen, daß sich das legt, wenn sie erst einmal ein paar Tage zusammen unterwegs sind und in den Geist des Weges hineingewachsen sind.
Am eigenartigsten ist ihr Führer, offensichtlich ein „Profipilger“ — wieder ein neuer Typus! Er spielt den unnahbaren, abgebrühten alten Hasen. Ich kann ihn mir gut als Bergführer in Chamonix vorstellen, am Abend vor dem Aufbruch mit seinen Schützlingen zu einer einwöchigen Hüttentour
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