Nach Santiago - wohin sonst
sympathische (weibliche!) Gesellschaft. — „Kein Weg ist kürzer als der in guter Gesellschaft“, sagt ein schottisches Sprichwort. — Meine Begleiter interessieren sich sehr für meine lange Pilgerfahrt und sind voller Bewunderung für meine Ausdauer und Konsequenz — ich weise dieses Kompliment ohne besonders viel Nachdruck von mir. — Sie bezeichnen mich als „echten“ Pilger und sehen sich selbst im Vergleich zu mir nur als Touristen. Wieder die Frage nach der Echtheit! Diesmal widerspreche ich — ich habe dazugelernt — und verweise auf die vielfältigen Zugänge zum Pilgern, die alle ihre Berechtigung haben. Ich gebe zu, die Anwesenheit der Frauen stimmt mich milder. Es ist einfach schön, mit Frauen zusammenzusein! Natürlich habe ich nie vergessen, daß es Frauen gibt, aber in den letzten sieben Wochen haben sie in meinem eigentlich recht „mönchischen“ Pilgeralltag keine Rolle gespielt. Es müßte schön sein, diese Erfahrung mit einer Gefährtin zu machen — einen ähnlichen Zugang zum Gehen und Pilgern vorausgesetzt! Denn diese extreme Nähe — wochenlang Tag und Nacht zusammenzusein — muß die Beziehung entweder festigen oder aber so belasten, daß sie zerbricht.
Wie dem auch sei, in Mansilla ist der kurze gemeinsame Ausflug zu Ende, wir verabschieden uns herzlich, Photos werden gemacht, Adressen ausgetauscht, und ich bin wieder der einsame, zielstrebige (=seinem Ziel zustrebende) Pilger. (Das Ritual des Adressentausches bedeutet nur, daß man gerne in Gesellschaft des anderen war, Konsequenzen für Briefträger hat es nur selten.)
Ich freue mich auf León, den Sitz der siebten römischen Legion, auf die Basilika des hl. Isidor — dort soll es ein Refugio geben — und besonders auf die „Leonina“, die Kathedrale Santa Maria de la Regla, eine der schönsten gotischen Kathedralen Europas, in der die riesigen, bunten Glasflächen die Gesetze der Statik außer Kraft zu setzen scheinen. Und natürlich freue ich mich auf die Dusche im Refugio, den Karsamstagabend-Bummel in der Altstadt und die letzte der großen Büßerprozessionen der Karwoche, an denen anscheinend ganz Spanien in allen größeren Städten, entweder als maskierter Büßer oder als Zuschauer, teilnimmt. León hält fast alles, was es verspricht, nur Refugio gibt es keines. Und die Hotels sind natürlich alle voll. Das Refugio in San Isidro gibt es schon lange nicht mehr, teilen mir zwei junge Frauen mit, die gerade in die Krypta der Basilika hinuntersteigen, um mit der Gemeinde die Osternacht zu feiern. Ich soll mitmachen, und in der Früh gibt es tolles Frühstück! Das klingt verlockend. So eine Gelegenheit werde ich wahrscheinlich nie mehr bekommen und zu meiner Pilgerfahrt würde es auch ideal passen. Die Osternacht mit einer spanischen Gemeinde zu feiern, wäre für mich als Ausländer sicher ein Privileg. Ich zögere, überlege — und lehne die Einladung dann doch dankend ab. Auch heute habe ich wieder mehr als 50 Kilometer zurückgelegt und bin todmüde. Wie soll ich da eine ganze Nacht wach bleiben und wo soll ich die Kraft für morgen hernehmen? Ich will ja noch bis Santiago kommen!
So verlasse ich in der Nacht die Stadt, es ist gräßlich wie immer — Asphalt, Autos, graue Vorstadt, nur durch die gnädige Dunkelheit etwas verhüllt. Das Bedauern darüber, die Einladung abgelehnt zu haben, schwingt noch eine Weile in mir nach. Aber dann finde ich — ist es Glück oder der geschärfte Pilgerinstinkt? — auf einem Hügel außerhalb der Stadt ein Haus im Rohbau, in dessen Windschutz ich mein Nachtlager aufschlagen kann. Eine geborstene Wasserleitung im Inneren versorgt mich sogar mit „fließendem“ Wasser. Es ist eine sternenklare, milde Nacht, der Vollmond taucht alles in sein blaues Licht, und so verbringe ich, nach einem späten, aber mehr als wohlverdienten Nachtmahl und einer in tiefen Zügen genossenen Gute-Nacht-Zigarette, doch noch eine wunderschöne Osternacht!
Ostersonntag, 16. April León — Astorga
Und wieder eine Perle mehr...
León noch in der Nacht zu verlassen erweist sich im nachhinein als gute Idee. Die schreckliche Vorstadt liegt hinter mir und damit der wahrscheinlich unangenehmste Teil der Etappe, außerdem wurde dadurch das vor mir hegende Wegstück entsprechend kürzer. Die von vielen Pilgern gefürchtete Strecke León - Astorga, 40 Kilometer auf der Nationalstraße (!), kann heute umgangen werden, weil kürzlich eine Variante eröffnet wurde, welche ab Virgen del Camino auf
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