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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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Etappe für alle Pilger auf ihrem Weg nach Santiago. Noch dazu, wo in der Kirche außer den Reliquien des Heiligen auch ein Splitter vom Kreuz Christi verehrt wird, den Karl der Große seinem Cousin als Abschiedsgeschenk überreicht hatte. Pilger trachteten danach immer, unterwegs möglichst viele Kirchen und Kapellen mit Reliquien von Heiligen zu besuchen. Und wie ich, am Ende dieses doch anstrengenden Tages, müden Schrittes das mittelalterliche Dorf durchquere, um schließlich die letzte Steigung hinauf zur Abtei hinter mich zu bringen, wie der Hall meiner Schritte und der meines Pilgerstabes auf den Pflastersteinen von den engstehenden Häusern zurückgeworfen wird, fühle ich mich eins mit den Abertausenden, die vor mir den gleichen Weg gegangen sind.
    Ich komme noch rechtzeitig, bevor die Abtei für die Nacht verschlossen wird, und nütze die Zeit für ein paar Minuten der Einkehr. Romanische Kirchen sind dafür besonders geeignet. Kein Gold, kein Pomp, kein Rokokoengel lenken ab.
    Heute gebe ich mein erstes Geld seit Beginn der Reise aus, es sind 50 Francs für die Übernachtung in der Selbstversorgerherberge des französischen Alpenvereins, die äußerst sauber und komfortabel ist und die ich — zu einer so frühen Jahreszeit — ganz für mich alleine habe.

    Montag, 27. Feber St. Guilhem — St. Jean

Ankunft „daheim 7

    Ein traumhaft schöner Morgen! Nach dem Frühstück noch ein paar Photos, um die wunderbare Morgenstimmung von St. Guilhem einzufangen, dann mache ich mich auf den Weg nach „zuhause“. Es ist der bisher schönste Tag. Auf der karstigen Hochfläche, dem Ausläufer der Cevennen, die sich gleich hinter dem Dorf erhebt, weht zwar wieder der eiskalte und bissige Nordwind, der Tramontane, der mich schon gestern begleitet hatte, aber er vertreibt den Regen, und das ist mir sehr recht. Am höchsten Punkt des Plateaus angelangt, traue ich meinen Augen nicht, sehe ich doch tatsächlich, etwa 200 Kilometer entfernt, die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen! Die ganze Kette, vom Mittelmeer bis fast zum Atlantik. Man hat mir erzählt, daß das nur selten, an klaren Wintertagen, möglich ist. Dort will ich also drüber! Ein schönes Stück Arbeit liegt da noch vor mir, und dann bin ich immer noch nicht in Santiago. Aber jetzt gehe ich erst einmal nach St. Jean, „meinem“ Dorf.
    Ich erhöhe das Tempo, um schon am frühen Nachmittag in meinem Haus anzukommen. Ich möchte Wäsche waschen, Post abholen, meine Freunde im Dorf besuchen, lesen, ausspannen — und umpacken!
    Um Punkt 15 Uhr komme ich an. Das war ganz schön anstrengend! Auf Dauer sicher nicht durchzuhalten. In St. Jean setzt es zunächst eine große Enttäuschung: keine Post und auch sonst keine Nachricht erwarten mich. Was soll’s, morgen geht es wieder weiter, und dann wird es erst richtig ernst! Der fünftägige „Prolog“ ist vorbei, morgen verlasse ich vertrautes Gebiet. Die Erfahrungen dieser ersten fünf Tage lassen mich meine Ausrüstung neu sichten, vor allem die Jeans bleiben da. Sie sind zum Weitwandern vollkommen ungeeignet, sie sind schwer, heiß, brauchen zum Trocknen irrsinnig lang und scheuern die Haut wund. Der Rucksack liegt genau auf dem Gürtel auf, und schon jetzt habe ich an dieser Stelle eine offene Wunde.
    Dafür packe ich die wunderbar leichte Wanderhose ein, die ich ursprünglich nicht mitgenommen hatte. Welcher Teufel hatte mich da wohl geritten? Eine Freundin hat sie für mich aus einem ganz leichten, aber doch luftabweisenden Stoff genäht. Sie ist zwar nicht wasserdicht, trocknet aber binnen kürzester Zeit und ist weit, locker und leicht. Also geradezu ideal!
    Ich bin froh, nicht von St. Jean , sondern von Arles weggegangen zu sein. So konnte ich Erfahrungen sammeln und sie auch gleich problemlos umsetzen.
    Vor dem Einschlafen möchte ich noch ein bißchen fernsehen, aber der Apparat ist wieder einmal kaputt. Also schlafe ich gleich — was hat ein Pilger auch fernzusehen?
    Und dann kommt doch noch ein Anruf aus Innsbruck. Heidi, die „Hosenschneiderin“, wünscht mir alles Gute für die Pilgerreise. Da muß sie einen sechsten Sinn gehabt haben, daß sie gerade an diesem Abend bei mir anruft. Aber das kann sie! Erstens daran denken und zweitens den richtigen Moment erwischen. Ein Anruf meinerseits bei Freunden in Österreich macht mich zutiefst betroffen. Ein Freund, nur wenig älter als ich, ist plötzlich gestorben, von heute auf morgen. Das kann doch mir auch passieren. Was tu’ ich, wenn ich

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