Nachdenken ueber Christa T.
laufen nackt herum, hierher verirren sich selten Fremde.
Vom Küchenfenster aus habe ich ihren Garten liegen sehen und den Westzipfel des Sees. Die Küche war in großer Unordnung, weil Justus nach dem Tod seiner Frau keine Haushälterin finden konnte und selber kaum Zeit hatte aufzuräumen. Als ich das Geschirr einstellte, erkannte ich die Anordnung der Schränke und Regale, die sie sich ausgedacht hatte. Hinter dem geblümten Vorhang, den sie für die Alkoven in den Oberzimmern ausgesucht hatte, habe ich geschlafen. Nachts wurde ich wach und hörte die Ratten über meinem Kopf auf dem Boden ihr Unwesen treiben. Man hat Mittel gegen sie gefunden, sie sind vertrieben.
Am nächsten Morgen, als ich vor der Bücherwand im großen Wohnraum stand und die Bücher herausnahm, die ich Christa T. ins Krankenhaus geschickt hatte, glaubte ich ein Kühlerwerden der Luft zu empfinden und meinte, ein Schatten müsse mir über die Schultergefallen sein. Ich mußte mich zwingen, mich nicht blitzschnell umzudrehen, um sie ertappen zu können, wie sie da in ihrem Stuhl saß, von mir abgewandt, denn sie drehte sich in der letzten Zeit immer weg und ließ sich auch nicht mehr fotografieren – wie sie da saß in ihrer dicken grünen Strickjacke, obwohl Sommer war. Sie fror so leicht.
Ich machte mich steif und drehte mich nicht um, nicht gleich jedenfalls, und als ich es dann doch tat, saß sie nicht da, es war auch kein Schatten gefallen, und es gibt kein Foto von ihr aus der letzten Zeit.
Die Kinder, ihre und meine, riefen von draußen. Ein Kaninchen hatte sich in der Hausböschung seinen Bau gegraben, es sollte gefangen und woanders ausgesetzt werden.
Ich trat in die Tür, die nach draußen führte.
Der Platz für die Terrasse mußte noch zementiert werden, wohin man sah, war Arbeit liegengeblieben. Ich ging hinaus. Auf einmal durchfuhr es mich, daß ich bis zu diesem Augenblick nicht begriffen hatte, warum sie hier leben wollte und wozu sie sich dieses Haus gebaut hatte. Ich war darüber mehr verwundert als betroffen, denn nun lag es doch klar auf der Hand und war staunenswert, daß dieses ganze Haus nichts weiter war als eine Art Instrument, das sie benutzen wollte, um sich inniger mit dem Leben zu verbinden, ein Ort, der ihr von Grund auf vertraut war, weil sie ihn selbst hervorgebracht hatte, und von dessen Boden aus sie sich allem Fremden stellen konnte.
Sicherheit, ja, auch das.
Jetzt, da kein Urteil von mir noch etwas ändern konnte, weil alle Urteile sich selbst erledigt hatten und überflüssiggeworden waren, jetzt fragte ich mich, welche andere Lebensweise man ihr hätte raten können. Sooft ich seitdem darüber nachgedacht habe – es gibt keine bessere als die, die sie sich selbst ausgesucht hatte. Ich weiß, daß an einem der großen Fenster ein kleiner Arbeitsplatz für sie vorgesehen war. Vielleicht, sagte sie einmal, vielleicht überwinde ich hier meine verfluchte Trägheit. – So hat sie es genannt.
Die äußeren Schwierigkeiten, die sich ihrem Plan entgegenstellten, verdeckten wie so oft sein Wesen, auch vor ihr selbst. Das Geld wurde knapper, als sie vorausgesehen hatten, und oft schien es aussichtslos, das nötigste Material zu beschaffen, um den schleppenden Gang des Baus nur einigermaßen voranzutreiben. Wenn sie in diesen zwei Jahren bei uns Rast machten, kamen sie von der Messe, wo sie Lampen oder Möbel oder Türklinken zu finden hofften. Sie waren immer in Eile, immer bedroht von einer endgültigen Stockung des ganzen Unternehmens. Einmal, als wir sie in der Dämmerung zu ihrem Auto brachten, kam mir Christa T. mutloser vor, als man aus den Widrigkeiten erklären konnte, über die sie sich beklagt hatte. Ich sagte ein paar aufmunternde Worte. Justus, der hinter ihr stand, nickte mir bittend und bedeutungsvoll zu, ich sah ihn fragend an, Christa T. entzog sich jeder Anteilnahme mit einer burschikosen Bemerkung. Ich verstand nicht, was vorging, sie stiegen ein, wir verabredeten ein Wiedersehen und schoben wie immer das richtige Gespräch auf das nächste Mal. Sie fuhren ab.
Es war zuwenig, um eine Vorahnung daraus zu ziehen. Man versucht ja auch selten, wirklich zu begreifen, was man sieht oder hört, was ein anderer sagt oder verschweigt.Als sie mich Wochen später anrief, was sie sonst niemals tat, war ich überrascht und erfreut. Erst als wir schon eine ganze Minute gesprochen hatten, das Wichtigste über unsere Arbeit und die Gesundheit der Kinder gesagt war, als plötzlich Stille eintrat, da
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