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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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starken Kaffee gekocht.
    Um diese Zeit kam meist Blasing, und sie empfing ihn freundlich. Er rieb sich die Hände, griff nach der Platte: Was Neues?, zog sich den Sessel an das kleine Tischchen: Der Herr Gemahl noch im Bauch einer Kuh?
    Ach, sie kennt ihn ja, sie durchschaut ihn ja, aber nun ist sie doch froh, einem Menschen sagen zu können, daß sie sich Sorgen macht. Vor drei Tagen hat Justuszum erstenmal eine hochtragende Kuh operiert, zwei Nägel und eine große Glasscherbe im Pansen, jetzt kommt er kaum noch nach Hause. Alle Zeichen sind günstig, aber was wäre, wenn ihm die erste Operation mißlänge?
    Da ist sie bei Blasing ganz an der richtigen Stelle. Vielleicht gibt es gar nichts, was er in seinem Leben schon wirklich gemacht hat, aber gewiß gibt es nichts, wobei er nicht wenigstens einmal zugesehen hat. Wenn es sein muß, zeichnet er das Innere einer hochtragenden Kuh auf die Tischplatte, daß jeder sehen kann, wie vollkommen ungefährlich so ein Eingriff ist, noch dazu bei Justus’ Talent. Er selbst, Blasing, hat zugesehen, wie er Kälber ans Licht dieser Welt gezogen hat, ihm kann so leicht keiner was erzählen, ihm nicht!
    Christa T. will ihm gar nichts erzählen, sie hört seiner flinken Rede zu, da haben sich plötzlich alle Ereignisse in allen Dörfern des Kreises, den er kennt wie kein zweiter, in handliche Schwänke und Schnurren verwandelt. Die Lehrerin in B. hat sich umbringen wollen? Na gut, aber dann hat sie es so ungeschickt angestellt, daß ihr Verlobter sie finden mußte, das schlaue Luder. – Der Buchhalter vom Volksgut in S. hat zwei Jahre Gefängnis gekriegt? Na gut, aber wer wird nun Buchhalter? Sein Bruder! Und in wessen Tasche wird der wirtschaften, bitte schön? – Der alte Willmers ist an seiner Säuferleber gestorben? Das weiß er, Blasing, nun aber besser: Im Krankenhaus haben sie den Blinddarmdurchbruch nicht gemerkt, so was gibt’s auf der Welt. Nun wird alles vertuscht, die stecken doch alle unter einer Decke! Wenn man Blasing hörte, steckte die ganze Welt mit der ganzen Welt unter einer Decke, und das war in Ordnungso, wer’s nicht begreift, ist selber schuld. Ob es denn wahr ist, fragt ihn Christa T., daß er sich scheiden, daß er seine Frau mit den drei Kindern sitzenlassen will, daß er ... Blasing hebt die Hände: Was die Leute alles reden! Und, fügt er nachdenklich hinzu: Wer weiß denn, wie alles kommt? Wer weiß, wo man überall noch einsteigen kann oder muß. Züge fahren immer ab. Oder meinen Sie, Blasing geht unter?
    Aber da kommt ja der Chef.
    Blasing fängt an, die Schachfiguren aufzustellen. Justus bringt Wein. Kein Schach. Bin todmüde. Die Kuh ist durch. Komm morgen mit, sieh sie dir an.
    Also, sagt Blasing, wer hat recht behalten?

17
    Man selbst, ganz stark man selbst werden .
    Schwer zu machen.
    Eine Bombe, eine Rede, ein Schuß – die Welt kann anders aussehen. Und wo bleibt dann dieses »Selbst«?
    Ein Mann wie Blasing hat diesen ganzen Betrug von Grund auf durchschaut. Er weiß, es lohnt sich nicht, jedesmal wieder mit sich selbst zu bezahlen. Er kann nur jedem raten, Falschgeld in Umlauf zu geben, Blüten, wie wir Ganoven sagen. Beweisen kann dir keiner was, und du selber kannst sie schnell und schmerzlos wieder aus dem Verkehr ziehen: falsche Liebe, falschen Haß, falsche Anteilnahme und falsche Teilnahmslosigkeit. Übrigens, wenn Sie’s noch nicht bemerkt haben sollten: Sie wirken echter als die richtigen, weil man lernen kann, sie nach Bedarf zu dosieren.
    Er glaubte, die Unruhe dämpfen zu müssen, die Christa T. befallen hatte. Die Zeit vergeht, Blasing, sagte sie zu ihm, wem sollte sie es sonst sagen. – Das ist das Beste, was sie tun kann, und täte sie’s nicht, müßten wir sie dazu bringen.
    Ich muß doch auf diesen Tag an der Ostsee zurückkommen. Auf den riesigen weißroten Wasserball, den der Wind vor ihr hertrieb. Auf ihre geschmeidigen Bewegungen, auf Justus’ bewundernde Blicke und ihr Kopfzurückwerfen. Auf ihr Lachen, das ich gewiß niemals beschreiben, aber auch niemals vergessen werde. Sie war tief braun gebrannt, ich sagte: Das ist wohl dein Sommer gewesen, sie lachte mit weißen Zähnen aus dem braunen Gesicht. Justus griff ihr ins Haar, das sie kurz geschnitten trug, er küßte sie vor allen Leuten auf den Mund. Sie nahm alles ernst, aber sie lachte dabei. Ich sehe noch ihren Blick.
    Abends, als wir im Strandhotel saßen, hatte sie ein weißes Kleid an – du ahnst nicht, wie alt es ist! sagte sie, aber sie wußte

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