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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ganz gut, daß sie es noch lange tragen konnte. Sie fing nach einer Weile an, Zahlen auf einen Bierdeckel untereinander zu schreiben, rechnete sie zusammen, und als wir wissen wollten, was sie trieb, sagte sie in vollem Ernst und für uns zum erstenmal: Das Haus. Wir müssen unwillkürlich die Hände gehoben haben, da hat sie uns ganz geläufig die Zahlen erklärt: das Monatsgehalt von Justus, der Staatskredit, der Kostenvoranschlag, der Abzahlungsmodus, die Zeit, in der die Schulden getilgt werden. Wir sahen Justus an. Er gab zu, daß es ihre Idee war und daß sie Blöcke voller Häuserskizzen zu Hause hatte. Aber wer soll das in die Hand nehmen, sagten wir, so was Schwieriges, heutzutage!Ich, sagte Christa T.
    Sie zog Skizzen aus ihrer Handtasche und breitete sie auf dem runden Marmortischchen aus. Da sahen wir »das Haus« zum erstenmal: alle seine Ansichten, alle seine Räume, jede Wand und jede Treppenstufe. Da sahen wir, daß es ja schon geboren war und daß niemand mehr das Recht hatte, es ins Nichtsein zurückzustoßen.
    Aber wo steht es denn? wollten wir wissen. Da gab es auch noch eine große Karte des Kreises. Christa T. fuhr mit ihrem braunen Zeigefinger die Straße entlang. Bis hierher geht’s ja, sagte sie. Sie bog in einen Feldweg ab. Der ist schlecht. Ein Dorf kam, furchtbares Pflaster. Das letzte Ende, den Hügel hinauf, war allerdings wirklich katastrophal.
    Aber wenn du’s geschafft hast, liegt plötzlich der See vor dir, den Schreck kannst du dir gar nicht vorstellen. Der große, einsame See. Links und rechts nur Weide und Bäume, hinter dir Kartoffeläcker. Mit dem Feldstecher siehst du am anderen Ufer die roten Dächer des Dorfes. Pappeln gehören am Ufer lang, die wachsen schnell und halten den Wind ab, was denkst du, was da im Winter für ein Wind ist! Zum See hin brauchen wir Schaufensterglas, zwei riesengroße Fenster, normale Scheiben drückt der Sturm glatt ein. Von der Küche aus seh ich den Garten, den ich anlege, und den Westzipfel des Sees. Wir kochen mit Propangas, Justus tauscht die leeren Flaschen immer in der Stadt um. Ein Stück Ufer wird entschilft, das ist unsere Badestelle. Anna und Lena laufen im Sommer splitternackt.
    Die Arbeit schaff ich fast alleine, so ist das Haus eingerichtet. Der Architekt zeichnet es mir so, wie ich’s ihm sage.
    Du hast ja Übung im Häuserbauen, sagten wir, da ist wohl nichts mehr zu machen, wenn du schon jeden Nagel kennst ...
    Jeden Nagel und jeden Schritt, und ob du’s mir glaubst oder nicht, ich bin schon manchmal drin aufgewacht. Aber wir hatten etwas gegen eigene Häuser. Hausbesitzer! sagten wir und rümpften die Nase. Ich sagte leise zu ihr: Und du wirst dich vergraben.
    Sie lächelte und sagte: Ich grab mich aus.
    Das verstand ich nicht recht.
    Keiner von uns war abergläubisch, keiner klopfte an Holz, keiner gebot ihr, ihre voreiligen Nachtträume für sich zu behalten, ihre Wachträume zu zügeln und den Tag nicht vor dem Abend zu loben. Wir tranken eine Flasche Wein auf das Haus, dann eine zweite. Mein Gott, war das ein schönes weißes Haus auf dem Hügel am See, mein Gott, stand ihm das Schilfdach gut, und wie paßrecht es war, nicht zu groß und nicht zu klein, und wie praktisch, vollkommen in seiner Art, und wie gut es lag, mitten im alten Rinderzuchtgebiet, Justus fing schon an, die Milcherträge zu steigern.
    Wir sahen es auf einmal alle daliegen, ihr Haus, wir sahen ein, daß einer es sich hatte ausdenken müssen, nun war es da. Sie hatte es erfunden, wir stießen mit ihr an.
    Christa T. trank mehr als sonst, sie wurde von den Nachbartischen zum Tanzen geholt, alle hatten gesehen, wie wir die Pläne hin und her schoben, man hatte sich mit Warnungen und Ratschlägen eingemischt, Adressen von Handwerkern wurden genannt, und Christa T. nahm alles mit Dank entgegen. Sie tanzte mit jedem, am Ende sogar mit dem kleinen dicken Steuerberater,der schon mehr als einen Bauherrn kühn und stolz beginnen und kleinlaut und bescheiden in seinem Büro hatte enden sehen.
    Das Haus ist gebaut worden. Aber man kann die Nächte zählen, die sie unter seinem Dach geschlafen hat.
    Die Pappeln sind gepflanzt worden. Sie sind so gewachsen, daß Justus neulich überlegte, ob man sie vor den Fenstern nicht kappen sollte.
    Der See liegt da, ruhig und glatt im Sommer, wild im Herbst, weiß und vereist im Winter. Ich habe die Sonne in ihm versinken sehen, da stand sie neben mir.
    Das Ufer ist entschilft, und im Sommer baden die drei Kinder jeden Tag. Sie

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