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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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fragte ich mich: Was will sie denn?
    Ich entsinne mich genau an die Formulierung, die sie gebrauchte: Ich mache Dummheiten, sagte sie.
    Unwillkürlich leise fragte ich: Bist du allein?, als ahnte ich jetzt, welche Art von Dummheiten sie mir mitteilen wollte.
    Ja, sagte sie.
    Hier verläßt mich meine Erinnerung an die Worte, die sie gebrauchte, und ich glaube nicht, daß ich sie erfinden sollte. Sie sagte mir, sie habe sich in einen anderen Mann verliebt, glaube ich, oder wie mag sie es sonst genannt haben? Ein Jagdfreund von Justus.
    Nun, und das sei schon alles.
    Nur eins noch: Die Sache – sie sagte: die Sache – gleite ihr aus der Hand.
    Ich weiß noch, daß ich auf einmal zu begreifen glaubte, was ich in letzter Zeit an ihr beobachtet hatte, aber ich wollte es nicht wahrhaben, ich sagte schnell: Madame Bovary.
    Nichts Neues für sie, aber was nützte es ihr? Wollte sie nur sprechen, endlich einmal sprechen können, oder wollte sie wirklich meine Meinung hören? Wie auch immer, ich sagte sie ihr: Mach Schluß damit, sagte ich, so was nimmt kein gutes Ende.
    Aber was heißt schon »Schluß« in solchen Affären, und wie soll man tun, was man wollen muß und nicht wollen kann?
    Weiß Justus?
    Natürlich.
    Nun erschrak ich doch. Krischan, sagte ich, ich weiß nicht, was du von mir willst. Ich kann dir nur sagen: Es geht nicht.
    Und warum nicht? fragte sie herausfordernd. Findet ihr, daß ich dazu bestimmt bin, treu zu sein?
    Ich merkte, daß sie mich jetzt mit anderen in einen Topf warf aus Lust, ungerecht zu sein – mit welchen anderen? Justus? –, aber ich sagte nur, ja, ich fände, sie sei dazu bestimmt.
    Sie schwieg ziemlich lange, dann sagte sie schroff: Ich weiß. So, als könne nur sie allein etwas darüber wissen.
    Die Pausen wurden immer länger. Schließlich sagte sie noch etwas von der Art, daß sie sich nicht mehr zu helfen wisse, dann legte sie schnell auf.
    Wenn es eintritt, ist es uns meistens schon bekannt gewesen, ich glaube nicht, daß sie über sich erschrocken ist. Man wundert sich nur, daß alle sagen: Das Übliche.
    Justus hat ihn ins Haus gebracht, einen jungen Förster. Die Verführung, wenn überhaupt die Rede davon sein kann, ist von ihr ausgegangen: Diese Art Frau ist ihm noch nicht begegnet. Er reagiert ganz unverfälscht, und besser hätte er es auch nicht anstellen können, wenn er nach einem schlauen Plan vorgegangen wäre. Beim Jägerball, als sie miteinander tanzen, zieht er sie an sich, am nächsten Tag schickt er einen Hasen. Er kommt auf einen Sprung vorbei, um sich ihre Vogelbücher anzusehen. Leise, weil die Kinder schlafen, ahmt er die Stimmen der Vögel nach. Einmal legt er eineHand auf ihre Schulter. Danach steht sie manchmal eine Stunde lang am Fenster, wenn sie glaubt, daß er vorbeikommen muß. Wenn er dann wirklich kommt, wenn er unter ihrem Fenster vorbeigeht, heraufsieht und den Hut zieht, dann muß sie sich an der Fensterbank festhalten. Sie muß sich setzen und das Gesicht in die Hände pressen. Sie erschrickt, wie kalt ihre Hände sind und wie heiß ihr Gesicht.
    Sie will sich wünschen, alles wäre vorüber, aber das kann sie nicht, wie soll man wünschen können, daß das Leben vorüber sei? Sie versteht, daß Justus maßlos ist in seiner Enttäuschung und Hilflosigkeit, er kann toben, er kann den Tisch umwerfen, kann weglaufen und spät in der Nacht nach Hause kommen, sie merkt, daß er getrunken hat. Dann kann er tagelang schweigen. Sie aber kann nichts tun als ihm zusehen und dann, wenn er wieder gegangen ist, immer aufs neue in die uferlosen, gefährlichen Phantasien versinken. Sie hat nichts zu erklären versucht, nichts zu beschönigen oder zu entschuldigen. Manchmal, wenn sie wie aus einer tiefen Bewußtlosigkeit zu sich kommt, fragt sie sich wohl: Bin ich denn krank? Es kommt ihr merkwürdig vor, daß alle, die ihr nahestanden, ihr nun fremd werden, aber wie soll das merkwürdig sein, wenn sie selbst sich so fremd geworden ist?
    »Madame Bovary« traf es nicht, ich wußte es selbst. Kleinliche Handlungen würden nicht vorfallen, keine Betrugsversuche und Fluchtmanöver. Eher würde sie sich selbst zerstören, als ... Aber das war ja der Grund für meinen Schreck.
    »Viel mehr Gefühle morgens beim Aufwachen, als der Tag je verbrauchen kann« , lese ich in ihren spärlichenAufzeichnungen aus jener Zeit. Die unverbrauchten Gefühle fingen an, sie zu vergiften. Zum erstenmal fragte sie sich, was in aller Welt sie mit diesem Haus wollte, was sie sich denn

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