Nachkriegskinder
anders als dein Vater? Gibt es Unterschiede in der Erziehung? Da fiel mir zunächst nichts ein. Mein Problem war ja eher meine Mutter. Mit ihr habe ich gerungen. Ich habe ihr gesagt: »Ich will Deine Kartoffeln nicht, du musst jetzt nicht kochen. Ich will, dass du mir zuhörst. Setz dich einfach mal hin und spring nicht rum, ich will auch nicht wissen, wie es dem Sohn der Nachbarin geht, ich will dir gerade erzählen, was ich erlebt habe«. Das war meiner Mutter kaum möglich, da musste erst ein Herzinfarkt kommen, danach war sie weicher. Ich habe diese Mama auch in mir. Ich habe vermutlich mehr Anteile meiner Mutter als mir lieb sind, und manche nette gelassene Seite meines Vaters habe ich eher nicht. Meine Kinder werden bestimmt einmal sagen: Der Papa war immer unterwegs, er war immer mit etwas Wichtigem beschäftigt. Ich gucke so gut wie nie Fernsehen. Für gemütliches Beisammensein bin ich nicht geschaffen. Das war bei meiner Mutter auch so. Wenn ich Leute treffe, dann oft, um etwas zu unternehmen – das kann auch ein Spiel sein oder Sport – aber meistens geht es darum, etwas zu besprechen, etwas aktiv zu bewegen.
|287| Von meinem Vater habe ich die Neigung zum Grüblerischen, zum Schwermütigen, zu den dunklen Seiten des Lebens übernommen und auch zum Mitleid. Auf der anderen Seite habe ich von ihm auch das Würdigen-Können und die Gabe, viel Liebe und Nähe zeigen zu können, Tränen und Herz zu verschenken. Eine von Vaters großen Fähigkeiten war: Er konnte würdigen und wertschätzen. Das war ja in seiner Generation überhaupt nicht üblich. Für ihn sind wir Kinder der äußere Ausdruck seines Ja zum Weiterleben gewesen. Vaters wichtigste Botschaft war: »Ich liebe euch.« Das ist das größte Geschenk. ✎
Nachkriegskinder als Pioniere
Volker Herold war einer der ersten, die ich zu ihren Soldatenvätern befragte. Seine Geschichte von einem liebevollen Vater berührte mich sehr. Ursprünglich hatte ich vor, sie ganz vorn im Buch zu platzieren. Ich kannte ja das Ergebnis meiner Recherchen noch nicht, hatte aber die Vorstellung, es würden sich die »guten Väter« und die »schlechten Väter« die Waage halten. Ich will nun gar nicht ausschließen, dass dies realiter auch so ist und bedaure sehr, dass es dazu keine Forschungsergebnisse gibt. Wir wissen nur von den extrem schlechten Beziehungen der 68er zu ihren Vätern, auch das ist, auf die Gesellschaft hochgerechnet, nicht repräsentativ.
Bei den Töchtern und Söhnen überraschte mich am meisten ihre Lebenszufriedenheit. Ich erkläre sie mir damit, dass die Menschen, die sich an mein Buchprojekt herantrauten, eine überdurchschnittliche Portion Selbsterfahrung mitbrachten – eine gute Voraussetzung, um mit sich selbst mehr oder weniger ins Reine zu kommen. Das war auch bitter nötig angesichts des Ausmaßes der Verstörungen und charakterlichen Deformierungen ihrer Väter. Den meisten meiner Gesprächspartner ist es in der Vergangenheit gelungen, das Erbe des Soldatenvaters zu durchleuchten, |288| was ihnen half, mit den daraus resultierenden eigenen Belastungen besser zurecht zu kommen oder sie sogar erheblich zu verringern. Darin, meine ich, besteht ihre Pionierarbeit. Sie haben sich einem Prozess unterzogen, der im Allgemeinen für unnötig und unergiebig gehalten wird. Jedenfalls stießen sie damit im Kreis ihrer Geschwister kaum je auf Resonanz. Ihre Ausnahmeposition bestätigte sich auch darin, dass die Mehrzahl meiner Gesprächspartner einen Bruder oder eine Schwester erwähnten, der oder die überhaupt nicht gut mit dem Leben zurechtkomme und gewiss nicht der Lage gewesen sei, ein vergleichbares Gespräch zu führen.
In diesem Zusammenhang kann aufschlussreich sein, was die amerikanische Traumaforscherin Rachel Yehuda 38 auf Grund ihrer wegweisenden Arbeiten mit Kindern von Holocaust-Überlebenden herausfand: Wenn ein Elternteil an einer posttraumatischen Störung leidet, dann taucht eine solche Belastung bei 50 Prozent der Kinder wieder auf. Sind beide Eltern lebenslang traumatisiert, dann überträgt sich diese Störung zu 80 Prozent auf die Kinder. Nun können wir nicht genau wissen, auf welche der in diesem Buch beschriebenen Soldatenväter die Extrem-Traumatisierung zutraf. Vor allem aber liegt im Schatten, wie hoch der Anteil der Verstörungen bei der Gesamtzahl der deutschen Kriegsväter war – eine Zahl, vor der das menschliche Vorstellungsvermögen kapitulieren muss: 17 Millionen Männer dienten in der Wehrmacht, 5 Millionen
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