Nacht der Dämonen
Kerker. Keldum würde benachrichtigt werden, und spätestens in eineinhalb Tagen würde die ganze Kompanie sich vor der Stadtmauer versammelt haben. Dann bekam Keldum seine Gefangene und konnte mit ihr machen, was ihm beliebte, und Gevem, der dazu beigetragen hatte, konnte mit einer Beförderung rechnen und dadurch mit höherem Sold.
Ja, das Glück war ihm hold. Er legte den Kopf zurück, leerte den Onyxbecher und stellte ihn auf ein Nachttischchen. Und da hielt er an, noch mit den Fingern um das Trinkgefäß, denn als er den innen mit Elfenbein ausgelegten Becher auf die Holzplatte stellte, verirrte sich ein Strahl des aufgehenden Mondes darauf. Einen Augenblick erschrak Gevem und fühlte sich zutiefst beunruhigt, ohne zu wissen weshalb. Da kam es ihm: Peths Knöchelchen! Fast hatte er Peth und seine Leseknochen vergessen, doch als der Mondstrahl sich im Kelch verfing, gemahnte er Gevem an ein Knochenstück auf kaltem dunklen Boden. Er lächelte zwar wieder, doch ein eisiger Schauder durchfuhr ihn. Der Mond verschwand hinter einer Wolke.
Verängstigt wie ein dummes Kind! schalt Gevem sich verärgert. Ich werde nach der Gefangenen sehen, wie es sich für einen guten Soldaten ziemt.
Er zündete eine Öllampe an und öffnete die Tür. Auf dem Korridor davor stand Sobut Wache.
»Ich möchte die Hyrkanierin sehen«, sagte Gevem zu ihm. »Habt Ihr die Güte, mir den Weg zu weisen?«
Sobut, den Hefei sowohl als Schutz für Gevem eingeteilt hatte, als auch, damit er ihn im Auge behielt, war nur zu gern bereit, dieser Bitte nachzukommen, denn die Wache war lange und langweilig zugleich. Er schritt dem Zamorier voraus durch den Palast und hinab in das Kerkerzwischengeschoß, das auch jetzt zum größten Teil im Dunkeln lag.
Als sie in den Zellenkorridor bogen, blieben sie abrupt stehen. Im Fackelschein in der Mitte des Ganges sahen sie den Wächter tot auf dem Boden liegen.
Und eine Zellentür stand halboffen …
»Die Rote Sonja!« brüllte Gevem und das Echo hallte gespenstisch in dem langen Korridor wider. Die Fackeln in ihren Wandhalterungen flackerten ungerührt. »Wo ist die Hyrkanierin, in Mitras Namen?«
Er riss eine Fackel von der Wand und rannte zu der offenen Zelle. Wie befürchtet, war sie leer.
»Entflohen!« rief Sobut. »Und – was ist das?«
Er bückte sich über die Leiche des Wächters und zupfte etwas von der Gürtelklammer, die den Schlüsselring gehalten hatte. Es war lediglich ein Stückchen Schleierstoff, kaum einen Fingerbreit, aber Sobut wusste, dass dieser Stoff fast ausschließlich für Gewänder für die Tempeljungfrauen verwendet wurde. Wie war er hierhergekommen?
»Was habt Ihr gefunden?« fragte Gevem.
»Vermutlich nichts von Bedeutung.« Sobut schob das Stofffetzchen in seinen Gürtelbeutel. »Ich werde der Sache später nachgehen. Kommt, wir wollen uns beeilen, Hefei und Mophis zu benachrichtigen.«
4
Im flackernden Fackelschein sah Sonja, dass sie und Tiamu am Ende des Korridors angekommen waren und vor einer Steinwand standen.
»Ich habe Angst«, wisperte Tiamu. »Die Priester erzählen von Geistern …«
»Das ist nur Gerede, Tiamu. Beruhige dich.«
Sonja hob die Fackel höher und studierte die Wand eingehend. An diesem Ort alter Dunkelheit wirkte der Fackelschein düster. »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«
»Ja – aber ich wusste nicht, dass der Gang hier versperrt ist. Oh, Sonja!« Tiamus Stimme klang atemlos vor Furcht. »Was ist, wenn wir nicht …«
»Pssst!« Sonja leuchtete mit der Fackel die hintere Wand ab, dann seufzte sie zufrieden. »Ah, da!« sagte sie mehr zu sich als zu dem Mädchen.
Das Fackellicht fiel auf eine Eisenklammer in der Wand. Sonja zog daran wie an einem Türgriff- und die Stein wand schwang mühelos auf eisernen Angeln zurück.
Tiamu holte erstaunt Luft. »Wie hast du das gewusst?«
»Das habe ich nicht. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Gang mit soviel Mühe durch den Fels gehauen wurde, ohne irgendwo hinzuführen. Das Eisen an der Tür ist auch kein bisschen rostig; das kann nur bedeuten, dass sie oft benutzt wird – von Mophis, vermutlich. Tempelpriester haben etwas für Geheimgänge und Falltüren übrig – denn so können sie unerwartet irgendwo auftauchen und abergläubische Narren erschrecken.« Sonja trat hindurch. »Komm, Tiamu.«
»Ich – ich möchte nicht.«
Sonja blickte über die Schulter auf sie zurück. Das Gesicht des Mädchens war weiß, die Augen waren furchterfüllt aufgerissen,
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