Nacht der Vampire
Anlaß aus dem Nichts aufgetaucht. Vermutlich war es aus ihrem Unterbewußtsein aufgestiegen wie eine Luftblase aus den Tiefen eines dunklen Teichs.
Bonnie Wallace schüttelte ihre rotgoldenen Locken und schob das Wort achtlos beiseite.
»Bonnie!« rief Rodney aus der Küche.
Sie gab keine Antwort. Am Abend hatte sich eine unerklärliche Schwermut über sie gesenkt, und sie wünschte, sie hätte Kopfschmerzen vorgeschützt und wäre daheim geblieben. Sie war durchaus nicht in der Stimmung für Rodneys Gäste. Die ersten Besucher würden in Kürze erscheinen, durchwegs mondäne, elegante Leute, mit denen er sich dauernd umgab. Und sie als Gastgeberin stand natürlich im Blickpunkt.
Sie kannte diese Snobs bis zum Überdruß!
Sie trat an ein offenes Fenster. Ausnahmsweise war die Luft über San Francisco klar und bot ihr einen schönen Rundblick auf die weit ausgedehnte Stadt, auf eine der Brücken und auf die Bucht.
Wie war sie eigentlich hier gelandet? fragte sie sich.
Die Antwort war ganz einfach und ergab sich rückblickend von selbst. Zu Hause hatte sie nichts gegolten. Sie war nichts weiter als das schöne Mädchen gewesen, das jeder haben konnte. Deshalb hatte sie vor dreizehn Jahren ihre Heimatstadt verlassen, um ein ganz großer Filmstar zu werden. Natürlich war ihr das nicht gelungen, obwohl sie mit vielen einflußreichen Männern geschlafen hatte. Und natürlich hatte sie dann eben rasch geheiratet.
Die Ehe war kein Erfolg gewesen — oder doch? Zu ihrem Glück hatte Bonnies sehr reicher Mann ihr nach zweijähriger Ehe eine beachtliche Summe zuerkannt, von deren Zinsen sie leben konnte.
Ein Jahr später hatte sie wieder geheiratet. Diese Ehe hielt fast drei Jahre lang. Dann war ihr Mann mit dem Auto tödlich verunglückt. Seit damals hielten manche Leute sie für vermögend.
Nach einem Jahr hatte sie nochmals geheiratet und ihren dritten Mann nach achtzehn Monaten verlassen. Dreimal verheiratet, zweimal geschieden, einmal verwitwet; und mit jeder Ehe war sie reicher geworden.
Weshalb nur fühlte sie sich so niedergeschlagen? Mit ihren dreißig Jahren sah sie aus wie eine Fünfundzwanzigjährige. Aller Voraussicht nach würde sie noch jahrelang eine Schönheit bleiben und selbst später noch lange Zeit hübsch und anziehend sein. Und sie hatte ihr Leben genossen. Sie war in Rennwagen durch Europa gebraust, mit Düsenmaschinen in den Orient geflogen und auf griechischen Jachten durchs Mittelmeer gekreuzt. Und sie hatte geliebt, wenn man das so nennen konnte. Jeder ihrer Ehemänner hatte zumindest ab und zu Verständnis für ihre ausgefallenen Wünsche gezeigt und zwischen den einzelnen Ehen ... na ja.
»Komm!«
Wie eine Flamme brannte sich das Wort in ihr Denken ein.
Aber wohin sollte sie kommen? Und zu wem?
»Bonnie!«
Sie drehte sich um. Rodney stand neben ihr. Auf seine blonde, jungenhafte Art sah er sehr gut aus. Er reichte ihr ein Glas Whisky.
»Ich rief dich, aber du hast nicht geantwortet. Geistesabwesend?«
»Wird wohl so sein.«
»Was ist los mit dir, Bon?«
»Wie? Ach nichts.« Sie haßte es, Bon genannt zu werden.
»Warum zuckst du so heftig zusammen?«
»Mir ist kalt! Kein Wunder, in diesem dünnen Fähnchen.«
»Aber es ist sehr warm, Liebes ’. ..«
Sie hörte ihm nicht zu. Unbändige Sehnsucht, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr empfunden hatte, stieg plötzlich in ihr auf.
Rodney zog sie in die Arme. »Bonnie .. . Herzchen.. .«
Ihre Sehnsucht verwandelte sich augenblicklich in Entsetzen. Natürlich konnte sie nie mehr nach Sanscoeur zurück und verspürte auch nicht das leiseste Verlangen danach! Angenommen, jemand hatte erfahren, was sie damals getrieben hatten — obwohl sie seitdem auch nicht gerade als Unschuldsengel gelebt hatte. Die perversen Spiele von einst ließen sich vielleicht damit entschuldigen, daß sie noch ein halbes Kind gewesen war. Trotzdem wollte sie um nichts in der Welt jemanden treffen, der davon wußte.
»Komm zurück!«
Zachary Hale lag auf dem Bett, rauchte eine orientalische Zigarette und lächelte.
Und lauschte.
Er vernahm den Ruf ganz deutlich, der ihn vor zwei Stunden aus dem Schlaf gerissen hatte.
»Komm! Komm zurück nach Sanscoeur!«
Nach Sanscoeur oder nach Sanscoeurville? Er konnte es nicht sagen. Vielleicht war das nicht so wichtig, aber manchmal erwiesen sich genau diese feinen Unterschiede als wesentlich. Er wußte das am besten. In den Augen der Welt war er ein noch junger, ungemein erfolgreicher Architekt.
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