Nacht der Versuchung
Prestigewert für sie haben würde.
Versonnen griff Mariella schließlich nach dem Skizzenblock und begann zu zeichnen. Diese wundervollen Muskeln, diese Kraft und Anmut in der Bewegung … Der Bleistift flog nur so über das Papier, bis Fleur quengelig wurde und Mariella aus ihrer Versunkenheit riss. Lächelnd legte sie den Skizzenblock beiseite und wollte aufstehen. Erst da erkannte sie errötend, was sie überhaupt gezeichnet hatte. Wie, in aller Welt, hatte das passieren können? Anstatt eines Pferdes hatte sie einen Mann gezeichnet … Xavier. Xavier beim Schwimmen, Xavier in aufrechter Pose, nackt und schlank, kraftvoll und … sexy.
Schuldbewusst klappte Mariella den Skizzenblock zu, verstaute ihn und ging zu Fleur. Sie nahm die Kleine hoch, setzte sie in den Babysitz und trug sie in die Küche.
„Hm, gleich gibt es leckeres Essen“, erzählte sie ihrer Nichte, während sie die Babynahrung zubereitete. Sie entschied sich dann, Fleur nicht im Schlafraum, sondern im Wohnbereich zu füttern. Immerhin war sie Xaviers Tochter, und vielleicht sollte man ihn daran erinnern, was das bedeutete. Vielleicht tat es auch ganz gut, ihm vor Augen zu führen, was er verpasste, dadurch, dass er sein Kind verleugnete.
Xavier arbeitete immer noch an seinem Laptop, als Mariella sich mit Fleur wieder zu ihm in den Wohnraum gesellte und die Kleine fütterte. Fleur hatte einen gesunden Appetit und gurgelte und gluckste vor Vergnügen. Mariella sprach lächelnd mit ihr und konzentrierte sich ganz auf ihre angenehme Tätigkeit, bis sie plötzlich das unmissverständliche Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Xavier hatte aufgehört zu arbeiten und sich umgedreht, um sie und das Baby zu beobachten.
„Sie hat Ihre Nase“, sagte er unvermittelt, und ihre Hand zitterte leicht.
Tatsächlich hatten sie und Tanya beide die zierliche Nase von ihrer Mutter geerbt, und Fleur ähnelte ihnen in diesem Punkt. Mariella spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Was befähigte manche Männer, sich gegenüber dem Kind, das sie gezeugt hatten, eine derartige Gleichgültigkeit an den Tag zu legen? Xaviers Verhalten gegenüber Fleur erinnerte sie so sehr an ihren Vater! Sie wusste genau, wie es war, in dem Gefühl aufzuwachsen, von seinem Vater abgelehnt und ungeliebt zu sein, und konnte es nicht ertragen, dass es Fleur genauso gehen sollte. Man sollte Xavier vor Augen führen, dass er zumindest zum Teil Verantwortung für seine kleine Tochter trug, anstatt zuzulassen, dass er sich einfach von ihr abwandte. Das hatte nichts mit Geld zu tun, sondern nur mit Gefühl.
Fleur war jetzt satt und döste langsam ein. Mariella vergewisserte sich noch einmal, dass die Kleine auch sicher in ihrem Sitz angeschnallt war, küsste sie liebevoll auf die zarte Wange und ging dann in die Küche, um das Essgeschirr abzuwaschen.
Allein gelassen mit Fleur, betrachtete Xavier sie nachdenklich. Ihr Teint war heller als Khalids, und obwohl eine gewisse Ähnlichkeit mit Mariella unübersehbar war, konnte er keine mit Khalid erkennen. Fleur, die jetzt tief und fest schlief, fröstelte im Schlaf. Sofort ging Xavier zu ihr. Die Nächte in der Wüste waren kalt. Die Händchen der Kleinen fühlten sich warm an, aber vielleicht brauchte sie eine Decke?
Mariella war noch in der Küche beschäftigt, deshalb ging Xavier in den Schlafraum, um die Decke aus dem Babybettchen zu holen. Mariella hatte den Skizzenblock zwischen das Bettchen und die Kiste mit den Babysachen gesteckt. Als Xavier nach der Decke griff, bemerkte er den Block, nahm ihn zur Hand und schlug ihn auf. Überrascht betrachtete er die unverkennbaren Skizzen.
„Wo ist Fleur?“ Mariella war unbemerkt hereingekommen. Sie hatte Fleurs Teller und Löffel in die Babykiste räumen wollen und sah nun Xavier, wie er sich über das Bettchen beugte.
„Sie schläft in dem Sitz, wo Sie sie zurückgelassen haben“, antwortete Xavier und fügte hinzu: „Ihre Ähnlichkeit mit Ihnen ist offenkundig, was aber eine Ähnlichkeit mit ihrem angeblichen Vater betrifft …“
„Wie können Sie Ihr eigenes Fleisch und Blut derart verleugnen?“ unterbrach Mariella ihn verbittert. „Es ist mir ein Rätsel, was irgendeine Frau je an Ihnen finden könnte, ganz zu schweigen von …“
Ehe sie jedoch den Namen „Tanya“ aussprechen konnte, fiel Xavier ihr schroff ins Wort: „Ach ja? Und was ist dann das, wenn ich fragen darf?“
Mariella blickte entsetzt auf ihre Skizzen in seiner Hand. Scham und Wut veranlassten sie,
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