Nacht der Versuchung
würde das wissen. Haben Sie nicht die unwirkliche Stille gespürt? Ist Ihnen nicht der Sanddunst aufgefallen, der den Himmel bedeckte?“ Xavier sah sie herausfordernd an.
„Sie lügen“, entgegnete Mariella eigensinnig. „Sie wollen uns einfach hier festhalten, weil …“
Als sie verstummte, lächelte er spöttisch. „Ja? Ich will Sie hier festhalten, weil …?“
Weil du genau weißt, wie scharf ich auf dich bin, flüsterte eine verräterische Stimme in Mariellas Herzen. Und weil du genauso empfindest. Unwillkürlich jagte ihr ein Schauer über den Rücken, und sie riss sich energisch zusammen. „Sie lügen!“ wiederholte sie und sah Xavier angriffslustig an.
„Meinen Sie?“ Er trat zur Seite und hob den Türvorhang, so dass sie nach draußen sehen konnte.
Die Palmen bogen sich jetzt so stark im Wind, dass ihre Wedel den Sand berührten. Ungläubig beobachtete Mariella das beängstigende Schauspiel und lauschte auf den Wind, der immer mehr an Gewalt gewann, bis er heulend um die Oase pfiff. Aus dem Nichts wirbelte er hohe Sandspiralen auf und ließ sie vor Mariellas Augen tanzen. Die Sonne war kaum noch zu erkennen, die Grenze zwischen Wüste und Himmel verwischte zusehends.
Fassungslos trat sie einen Schritt vor das Zelt und schrie erschrocken auf, als der Wind sie fast von den Füßen holte. Auf ihrem Arm fing Fleur an zu weinen und wurde im nächsten Moment von Xavier gepackt und in die Sicherheit des Zeltes zurückgeholt. Mariella wurde kreideweiß bei der Vorstellung, was mit ihnen geschehen wäre, wenn sie in der offenen Wüste von diesem Sturm überrascht worden wären.
„Glauben Sie mir jetzt?“ fragte Xavier, als Mariella ihm zurück ins Zelt gefolgt war und er den Türvorhang gesichert hatte.
Mariella nahm ihm Fleur wieder ab, wobei ihre Finger unabsichtlich sein feuchtes T-Shirt berührten. Sie zuckte so heftig zurück, dass sie fast das Gleichgewicht verlor. Xavier stützte sie mit beiden Händen, so dass es für einen Moment so aussah, als würde er sie und das Baby umarmen und in Sicherheit wiegen.
Wider alle Vernunft spürte Mariella Tränen in den Augen. Oh ja, sie sollte wirklich weinen … um ihre eigene Dummheit, die es zuließ, dass sie derart leicht aus dem Gleichgewicht geriet … in jeder Hinsicht! Entschlossen wich sie zurück. „Wie lang wird dieser Sturm voraussichtlich dauern?“
„Mindestens vierundzwanzig Stunden, vielleicht auch länger. Da wir innerhalb dieses Sturms keinerlei Kommunikationssignale empfangen können, lässt es sich nicht genauer sagen. Um diese Jahreszeit sind solche Stürme eher selten, aber wenn sie auftreten, sind sie besonders unberechenbar und wild.“
Genau wie Xavier selbst, dachte Mariella und drückte Fleur schützend an sich.
5. KAPITEL
Mariella stand von dem Bett auf, wo sie sich ausgestreckt und gelesen hatte, und schaute nach Fleur. Es war fast acht Uhr abends. Fleur war wach, aber ganz zufrieden und ließ sich von Mariella auch bereitwillig in den Mund sehen, wo das erste kleine Zähnchen gerade durchgekommen war. Es schien der Kleinen jetzt keine Probleme mehr zu machen.
Bereits am späten Nachmittag hatte Mariella sich mit dem Baby in „ihr Schlafzimmer“ zurückgezogen, weil sie die knisternde Atmosphäre im Wohnbereich nicht mehr aushalten konnte. Es war ihr unmöglich, Xavier auch nur anzublicken, ohne ihn sich so vorzustellen, wie sie ihn zuvor gesehen hatte: nackt und überwältigend männlich.
Er hatte ihr Gepäck wieder aus dem Jeep geholt und in den Schlafraum zurückgebracht. Mariella war froh gewesen, als ihr neben einem Skizzenblock und Stiften das Buch über Araberpferde in die Hände gefallen war, das sie sich zur Vorbereitung auf den möglichen Auftrag gekauft hatte. Jetzt bot es ihr die perfekte Ausrede, sich zurückzuziehen, zumal Xavier sowieso an seinem Laptop arbeitete. Unter der Vorgabe, Fleur zu einem Nickerchen hinzulegen, war Mariella mit dem Baby also im Schlafraum verschwunden und hatte ihn seitdem nicht mehr verlassen.
Für eine Tierporträtmalerin waren fundierte Anatomiekenntnisse natürlich unerlässlich. Da Fleur in ihrem Bettchen noch ganz zufrieden strampelte und mit ihren nackten Füßchen spielte, kehrte Mariella zum Bett zurück und vertiefte sich erneut in das Buch, das die Entwicklung der ursprünglichen arabischen Vollblüter zu modernen Rennpferden nachzeichnete. Ihre Agentin Kate hatte schließlich zu Recht darauf hingewiesen, dass ein möglicher Auftrag von Prinz Sayid einen hohen
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