Nacht der Wahrheit
danach erfüllten ihn mit zunehmender Unruhe. Die Bedeutung um seine Vergangenheit, deren Erinnerung tief in ihm verschüttet lag, wurde ihm immer bewusster, je weiter sie zurücklag.
Gedankenversunken folgte er den Ägyptern die Hauptstraße entlang zum Tempelbau, der sich in der tiefblauen Dämmerung schattengleich abhob. Die ersten Sterne glitzerten über ihm. Ihr Licht waberte im Dunst, der selbst zu dieser Stunde die noch warme Abendluft erfüllte.
Zahlreiche brennende Ölbecken aus Kupfer erhellten die weiß verputzte Außenmauer des Tempels. Das flackernde Licht zuckte lautlos im leichten Wind umher. Der Geruch von nur unzureichend raffiniertem Petroleum hing in der Luft.
Nefer gab einem der Männer den Befehl, voraus zu laufen. Der Mann bestätigte nur kurz und hastete dann die menschenverlassene Straße entlang und eilte die breiten Stufen des Tempels empor. Talon konnte sehen, wie er sich mit zwei Gestalten unterhielt, die den Eingang zu dem heiligen Bereich bewachten, und dann durch das offene Tor im Inneren verschwand.
Der Hauptmann befahl der Gruppe, am unteren Ende der Treppe anzuhalten. Von einer erwartungsvollen Ungeduld erfüllt blickte er zum Eingang des gedrungenen Gebäudes. Minuten lang verharrte er scheinbar regungslos. Nur seine Augen behielten die Umgebung wachsam im Blick.
Talon ließ seinerseits den Ägypter keine Sekunde aus den Augen. Noch immer hielt er die junge Frau auf den Armen, die sich nun unruhig in ihrer Umklammerung hin und her wälzte. Dennoch blieb sie in einem Dämmerzustand gefangen, aus dem sie nicht erwachte.
Ein kurzer Ausruf ließ Talon in seinen Gedanken inne halten. Am oberen Ende der Treppe waren mehrere schlicht gekleidete Priester erschienen, die sich zu beiden Seiten des trapezförmigen Türeinlasses versammelten. Während sie über die Treppenstufen auf die Soldaten zukamen, schälte sich der massige Körper des Hohepriesters aus dem Dunkel des Tempels. Menasseb raffte die blaue Robe um seinen Körper und wirkte scheinbar teilnahmslos. Doch seine dunklen Augen verfolgten lebendig und aufmerksam das Geschehen, das sich ihm bot. Er hätte nicht zu glauben gewagt, dass es dem Fremden tatsächlich so schnell gelingen würde, die Trägerin der Auserwählten Ras, der Unvergleichlichen und Einzigartigen, zu finden und zurück zu bringen.
Der Hohepriester war sich nicht sicher, was er mit dem Weißen machen sollte. Sekhmet schien ihre schützende Hand über ihn zu halten. Zu häufig hatte sie ihn bisher lebend davonkommen lassen. Also würde er selbst es nicht wagen, etwas zu tun, was die Göttin erzürnen mochte. Er hatte durch die beiden Soldaten, die mit dem Jungen zurückgekehrt waren, von dem Vorfall am Ausgang der Schlucht erfahren.
Die Situation begann für ihn undurchschaubar zu werden. Und das war ein Umstand, den Menasseb nicht bereit war, hinzunehmen. Er fühlte, wie er zu einem Zuschauer wurde. Zu einem, der auf die Ereignisse nur noch zu reagieren vermochte.
Ärger stieg in ihm auf. Ärger, der sich auf den halbnackten Mann konzentrierte, der vor ihm am unteren Ende der Treppe stand. Und auf das Mädchen in seinen Armen, das diese unkontrollierbare Situation erst heraufbeschworen hatte. Die Götter mochten sie verfluchen … – er selbst hatte es schon längst getan.
Einer der Priester unterhielt sich in einem flüsternden Ton mit Nefer, der etwas abseits seiner Männer stand. Der Hauptmann hörte aufmerksam zu und schlug sich dann mit der rechten Faust leicht auf die linke Brust.
„Talon, übergib das Mädchen nun den Priestern“, klang seine Stimme durch die Dunkelheit. „Sie wissen, was zu tun ist, und werden sich um die Auserwählte kümmern.“
Misstrauisch betrachtete der hochgewachsene Mann den Ägypter und sah, wie sich vier der in einfache weiße Leinenröcke gekleideten Männer ihm näherten. Sein Blick ging hoch zu Menasseb, der die Lage wie ein Habicht aufmerksam überblickte. Ihm war klar, dass er nicht viel mehr tun konnte, als zu gehorchen. Es gab keinen konkreten Anlass für eine Bedrohung, doch die Stimme seines Instinkts rief in ihm eine Unruhe hervor, die er nur schwer bändigen konnte.
Die vier Priester nahmen ihm Nayla mit einem Ausdruck der Erleichterung und der Freude ab. Zwei von ihnen ergriffen sie bei den Knöcheln, die anderen beiden bei den Oberarmen. Keiner von ihnen wäre aufgrund seiner Statur in der Lage gewesen, sie alleine zu tragen, und so schulterten sie das besinnungslose Mädchen zu viert.
Die übrigen
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