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Nacht der Wahrheit

Nacht der Wahrheit

Titel: Nacht der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knip
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hielt er auch weiterhin angespannt in seiner rechten Hand. Mit der linken bedeutete er dem Mann wortlos, der das Mädchen scheinbar mühelos in seinen Armen hielt, sich über die steile Böschung hinweg einen Weg in den Dschungel zu suchen.
    Über das verzweigte Gestrüpp aus teilweise alten, lange abgestorbenen Wurzeln tastete sich Talon vorwärts. Er musste Nayla halb über die Schulter legen, um sich mit der linken Hand an herabhängenden Lianen festzuhalten. Sie knarrten bedenklich in ihrer losen Verankerung, während er sich nach oben zog. Eine von ihnen löste sich mit einem peitschenden Knall und torkelte wie eine leblose Schlange durch die Luft zu Boden. Schnaufend warf sich der Mann mit den blauen Augen nach vorne und legte das Mädchen auf der oberen Kante der Böschung ab. Er atmete tief durch und drehte sich um. Dieses Mal akzeptierte der ägyptische Hauptmann die ausgestreckte Hand, die sich ihm entgegenstreckte. Ohne auch nur einen Anflug von Nachgiebigkeit zu zeigen, sah er sich mit harter Miene um, als er neben Talon stand. Der Dschungel war an dieser Stelle licht bewachsen. Es würde nicht weiter schwer fallen, einen Weg zurück zur Kolonie zu finden. In der Ferne war das heisere Kreischen mehrerer Affen zu hören, die zwischen den Baumkronen umherturnten.
    Talon erschlug eine Mücke auf seinem linken Unterarm und griff nach Nayla, die das Bewusstsein bisher noch nicht zurückerlangt hatte. Doch umgehend legte ihm Nefer seine prankenhafte Hand auf die Schulter und zog ihn von dem Mädchen zurück.
    „Wir werden sie bändigen, bevor wir unseren Weg fortsetzen“, erklärte er ihm, ohne Talon dabei anzusehen. Sein Blick war auf seine Männer gerichtet, die sich in geordneter Formation zurückzogen und den Fluss bereits zu mehr als der Hälfte durchquert hatten. Der Druck seiner Hand verstärkte sich.
    „Hättest du Sekhmet nicht gefunden, hätte ich dich eigenhändig erschlagen“, presste er mit unterdrückter Wut zwischen den Lippen hervor. „Diese Expedition leite ich, und solche Eigenmächtigkeiten dulde ich nicht!“ Die Worte kamen leise und schneidend. Talon begegnete dem Blick des Hauptmanns. Er erwiderte nichts auf die ausgesprochene Drohung.
    „Ich zähle nur zehn Männer“, entgegnete er stattdessen. „Was ist mit den anderen beiden geschehen?“
    Für einen Augenblick war Nefer über die gelassene Art verwirrt, doch dann lächelte er finster.
    „Ich habe sie mit dem Bruder des Mädchens zum Tempel zurückgeschickt. Dort wird man für ihn sorgen“, kam die orakelhafte Antwort. „Und nun kümmern wir uns um Sekhmet.“
    Sie zogen sich etwas tiefer in den Schatten der breiten Stämme der Urwaldriesen zurück, deren Blätter sich weit über ihnen in einem dunkelgrünen Meer aus umhertanzenden Facetten verloren. Die Soldaten hatten inzwischen die Böschung erklommen. Sofort versammelten sie sich um ihren Hauptmann und drängten Talon ohne Gewaltanwendung, aber dennoch bestimmt, ab. Einer von ihnen reichte Nefer einen kleinen Beutel. Dieser entnahm einen schlanken Gegenstand, der leise schepperte, und kniete sich neben dem bewusstlosen Mädchen nieder.
    Talon erkannte zwei Handfesseln aus grob beschlagenem Kupfer, die kaum dicker waren als zwei schmückende Armreifen. Doch zwischen ihnen waren mehrere Fäden gewoben, deren unwirklichen, hellen Glanz er selbst aus dieser Entfernung erkennen konnte. Er hörte die beschwörenden Formeln, die Nefer in einem leisen Ton vor sich hinmurmelte, während er Nayla die Fesseln anlegte.
    Alles in Talon drängte ihn dazu, sich einfach umzudrehen und die Flucht zu versuchen. Das hier war nicht sein Kampf. Er war nur durch einen dummen Zufall in diese Geschichte geraten. Doch er unterdrückte den Wunsch, denn er wollte nicht zulassen, dass dem Mädchen und seinem Bruder etwas geschah. Nicht, wenn er es verhindern konnte.
    Sein Atem ging durch die Erregung, die in ihm tobte, schneller. Er betrachtete Nefer mit glühendem Blick, wie er sich vom Boden erhob und Erdbrocken von seinen Knien wischte. Ein knapper Befehl erfolgte, und die Männer öffneten ihre Reihe. Der Hauptmann winkte den Weißen zu sich her.
    „Sie ist nun gebunden“, erklärte er Talon. „Mit diesen Fesseln sind die Kräfte Sekhmets in ihrem Körper im Zaum gehalten.“ Er richtete seinen Blick auf den Mann, der ihn um eine halbe Kopfhöhe überragte. „Du wirst sie zum Tempel tragen“, kam die Anweisung, während er den schlichten Bronzehelm abnahm und sich den Schweiß von seinem

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