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Nacht des Orakels

Nacht des Orakels

Titel: Nacht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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hinter uns hatten. Etwa zehn Minuten nachdem ich aufgebrochen war, entdeckte ich zwischen Carroll und President Street eine Schreibwarenhandlung. Sie lag auf der anderen Straßenseite und war zwischen einer Schuhreparaturwerkstatt und einer2 4-Stunden -Bodega eingeklemmt, die einzige helle Fassade in einer Reihe schäbiger, gesichtsloser Gebäude. Ich nahm an, es gab sie noch nicht lange, aber trotz ihrer Neuheit und trotz der raffinierten Auslage im Schaufenster (Türme aus Kugelschreibern, Bleistiften und Linealen, die die New Yorker Skyline darstellen sollten) wirkte der Paper Palace zu klein, als dass er viel Interessantes zu bieten haben konnte. Dass ich mich entschloss, die Straße zu überqueren und hineinzugehen, hatte seinen Grund offenbar darin, dass ich mir insgeheim wünschte, wieder mit der Arbeit anzufangen – ohne es zu wissen, ohne mir des Drangs bewusst zu sein, der sich in mir angestaut hatte. Ich hatte seit Mai, seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus, nichts mehr geschrieben – keinen Satz, kein Wort – und auch nicht die leiseste Neigung dazu verspürt. Jetzt, nach vier in Apathie und Schweigen verbrachten Monaten, setzte ich es mir plötzlich in den Kopf, mich mit einem frischen Vorrat an Schreibmaterial zu versehen: neue Kulis und Bleistifte, neues Notizbuch, neue Tintenpatronen und Radiergummis, neue Schreibblöcke und Aktenmappen, alles neu.
    An der Kasse hinterm Eingang saß ein Chinese. Er schien ein bisschen jünger als ich zu sein, und als ich beim Betreten des Ladens einen Blick durchs Fenster warf, sah ich ihn gebeugt über einem Schreibblock sitzen und mit einem schwarzen Druckbleistift Zahlenkolonnen notieren. Trotz der Kälte, die an diesem Tag in der Luft lag, trug er ein kurzärmliges Hemd – ein dünnes, locker sitzendes Sommerhemd mit offenem Kragen   –, das seine kupferfarbenen Arme noch dünner erscheinen ließ. Die Tür klingelte, als ich sie aufzog, und der Mann hob kurz den Kopf, um mich mit einem höflichen Nicken zu grüßen. Ich erwiderteden Gruß, aber ehe ich etwas sagen konnte, senkte er den Kopf wieder über seine Berechnungen.
    Der Verkehr draußen auf der Court Street musste gerade in eine Flaute geraten sein, oder die Schaufensterscheibe war außerordentlich dick, jedenfalls wurde ich, als ich in den ersten Gang trat, um mir den Laden genauer anzusehen, plötzlich gewahr, was für eine Stille dort herrschte. Ich war der erste Kunde des Tages, und die Stille war so ausgeprägt, dass ich das Kratzen des Bleistifts hinter mir hören konnte. Wenn ich heute an diesen Morgen denke, fällt mir als Erstes immer das Geräusch dieses Bleistifts ein. Und das so intensiv, dass, wenn die folgende Geschichte überhaupt einen Sinn hat, hier der Anfang zu suchen ist – im Zeitraum der wenigen Sekunden, als das Geräusch dieses Bleistifts das einzige Geräusch war, das es auf der Welt noch gab.
    Ich schob mich durch den Gang, hielt alle paar Schritte an, um mir die Sachen in den Regalen anzusehen. Es waren im Wesentlichen die üblichen Büro- und Schulbedarfsartikel, aber für einen so beschränkten Raum war die Auswahl bemerkenswert breit gefächert, und mich beeindruckte die Sorgfalt, die auf die Beschaffung und Anordnung einer solchen Fülle von Waren verwandt worden war, die von Heftzungen in sechs verschiedenen Längen bis zu zwölf verschiedenen Büroklammermodellen nichts auszulassen schien. Als ich hinten um die Ecke bog und den anderen Gang Richtung Eingangstür betrat, fiel mir ein Regal auf, das eine Reihe hochwertiger Importartikel zur Schau stellte: in Leder gebundene Schreibblöcke aus Italien, Adressbücher aus Frankreich, zierliche Reispapiermappen aus Japan. Des Weiteren zwei Stapel Notizbücher aus Deutschland und Portugal. Die portugiesischen Notizbüchererschienen mir besonders reizvoll, und kaum hatte ich die festen Einbände und die fadengehefteten Bögen robusten, klecksresistenten Papiers mit karierter Lineatur erblickt und eins davon in die Hand genommen, wusste ich auch schon, dass ich mir eins kaufen würde. Es war nichts Extravagantes oder Demonstratives daran: ein praktischer Gebrauchsgegenstand – strapazierfähig, einfach, zweckdienlich, ganz gewiss nicht die Art von Notizbuch, die als Geschenk in Frage kommen könnte. Aber mir gefiel, dass es in Leinen gebunden war, und mir gefiel auch die Form: dreiundzwanzigeinhalb mal achtzehneinhalb Zentimeter, also etwas weniger hoch und dafür breiter als gewöhnlich. Ich kann nicht erklären,

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