Nacht des Orakels
Geschichte 1952, im Jahr von Graces Geburt, geschrieben worden war.
Das Reich der Knochen
war eine Vorahnung künftiger Ereignisse. Er hatte die Geschichte in eine Schachtel gelegt und dort dreißig Jahre lang brüten lassen,und ganz allmählich hatte sie sich zur Geschichte über die Frau entwickelt, die wir beide liebten – meine Frau, meine tapfere Frau, die sich so quälte.
Ich sage, er lachte
erleichtert,
weil ich annehme, dass er inzwischen bereute, was er getan hatte. Als wir am Mittwoch zusammen aßen, reagierte er auf die Nachricht von Graces Schwangerschaft sehr emotional, und unmittelbar danach gerieten wir an den Rand eines hässlichen Streits. Zu dem es nicht kam; aber heute frage ich mich, ob Trause womöglich viel wütender auf mich war, als er zugeben wollte. Er war mein Freund, aber es muss ihn doch gewurmt haben, dass ich Grace zurückgewonnen hatte. Es war ihre Entscheidung gewesen, die Affäre zu beenden, und jetzt, da sie schwanger war, gab es für ihn keine Chance mehr, je wieder mit ihr zusammen zu sein. Wenn es sich tatsächlich so verhielt, war sein Geschenk an mich, die Erzählung, eine verschleierte, heimliche Form von Rache: er gab mir damit auf kleinliche Weise zu verstehen, dass er mir eine Nasenlänge voraus war – er sagte damit: Du weißt überhaupt nichts, Sidney, du hast noch nie etwas gewusst, und ich bin schon viel länger dabei als du. So könnte es gewesen sein. Aber es lässt sich unmöglich beweisen. Nur, wenn ich seine Handlungen missverstanden habe, wie ist es dann zu deuten, dass John mir die Erzählung nie geschickt hat? Er hatte versprochen, Madame Dumas werde mir einen Durchschlag des Manuskripts mit der Post schicken; stattdessen aber schickte er mir etwas anderes, und das empfand ich nicht nur als überaus großzügig, sondern auch als Akt der Reue. Dass ich den Umschlag in der Subway verloren hatte, ersparte ihm die peinlichen Folgen seiner hitzigen Aufwallung. Es tat ihm Leid, dass er sich von seinen Leidenschaften hatte hinreißenlassen, und jetzt, da meine Ungeschicklichkeit ihm aus der Klemme geholfen hatte, war er entschlossen, mit einer spektakulären, absolut überflüssigen Geste des guten Willens alles wieder gutzumachen.
Wir hatten am Sonntag etwa zwischen halb elf und elf miteinander gesprochen. Gegen zwölf kam Madame Dumas, und zehn Minuten später gab Trause ihr seine Scheckkarte und bat sie, zur Citibank am Sheridan Square zu gehen und vierzigtausend Dollar von seinem Sparkonto auf sein Girokonto zu überweisen. Gillespie schreibt, danach habe er den ganzen Tag an seinem Roman gearbeitet, und nachdem Madame Dumas ihm das Abendessen gebracht habe, sei er mühsam vom Sofa aufgestanden und habe sich in sein Arbeitszimmer geschleppt, wo er sich an den Schreibtisch gesetzt und mir einen Scheck über sechsunddreißigtausend Dollar ausgestellt habe – exakt die Summe meiner unbezahlten Arztrechnungen. Dann schrieb er mir den folgenden kurzen Brief:
Lieber Sid,
ich weiß, ich habe dir einen Durchschlag des MS versprochen, aber wozu soll das gut sein? Die Idee war doch nur, dir zu etwas Geld zu verhelfen, also kürze ich die Sache jetzt ab und lege dir einen Scheck bei. Als Geschenk, einfach so. Keine Bedingungen, kein Haken, du brauchst mir das nicht zurückzuzahlen. Ich weiß, du bist pleite, also steig bitte nicht auf dein hohes Ross und zerreiß den Scheck. Gib das Geld aus, leb davon, komm wieder in die Gänge. Ich will nicht, dass du deine Zeit mit der Arbeit an irgendwelchen Filmen vergeudest. Bleib bei den Büchern. Da liegt deine Zukunft, und ich erwarte noch große Dinge von dir.
Danke, dass du dir gestern die Mühe gemacht hast, den Jungen zu besuchen. Ich weiß das sehr zu schätzen – nein, mehr als sehr, denn ich weiß, wie unangenehm das für dich gewesen sein muss.
Nächsten Samstag zum Abendessen? Wo, kann ich noch nicht sagen, da alles von diesem verdammten Bein abhängt. Seltsam, aber wahr: das Gerinnsel habe ich meiner Knauserigkeit zu verdanken. Zehn Tage bevor die Schmerzen anfingen, habe ich eine Blitzreise nach Paris gemacht – hin und zurück in sechsunddreißig Stunden –, um bei der Beerdigung meines alten Freundes und Übersetzers Philippe Joubert zu sprechen. Ich bin Touristenklasse geflogen, habe auf dem Hin- und Rückflug durchgeschlafen, und der Arzt sagt, da sei es passiert. Durch die verkrampfte Haltung in diesen Zwergensitzen. Von jetzt an reise ich nur noch erster Klasse.
Gib Gracie einen Kuss von mir –
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