Nacht des Schicksals
merkte sie, wie die Kaffeetasse in ihrer Hand zitterte. Sie trank einen großen Schluck und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Was hatte dieser Mann nur an sich, das sie so durcheinanderbrachte? War es seine körperliche Präsenz? Seine unbestreitbare sexuelle Ausstrahlung? Oder war es sein spöttischer Tonfall, die Herablassung, mit der er sie behandelte? Es kam ihr vor, als würden sie ständig miteinander kämpfen!
Ach was! Kendra stellte den Becher ab und schob ihren Stuhl zurück. Sie würde sich nicht weiter mit diesem Mann abgeben. Sie wollte in Lakeview leben und für sich und Megan ein gemütliches Zuhause schaffen, das ihnen Geborgenheit vermittelte. Nur Brodie Spencer stand dem im Weg. Sie würde sich seine kleinen Seitenhiebe nicht länger gefallen lassen.
Sie sprang auf und eilte ins Arbeitszimmer. Wo hatte sie nur den Vertrag mit
Lakeview Construction
hingelegt? Es dauerte ein paar Minuten, bis sie feststellte, dass er hinter dem Schreibtisch auf den Boden gefallen war. Sie fuhr mit dem Finger über die Seite, bis sie die Telefonnummer fand. Dann griff sie nach dem Telefon.
“
Lakeview Construction”
, erklang es am anderen Ende. “Mitzi am Apparat.”
“Mitzi, hier ist Kendra Westmore …”
“Stimmt etwas nicht, Mrs Westmore? Ist Brodie nicht aufgetaucht?”
“Oh doch, er ist gerade wieder gegangen. Das Problem ist nur …”
“Problem? Gibt es ein Problem?”
“Es wird nicht gehen. Mit ihm wird es nicht gehen. Ich meine … ich kann mit dem Mann nicht zusammenarbeiten. Ich möchte, dass jemand anders das Projekt übernimmt.”
“Aber Brodie ist …”
“Kein Wenn und Aber. Ich möchte einen anderen …”
Am anderen Ende war ein undefinierbares Geräusch zu hören, dann gedämpfte Stimmen im Hintergrund.
“Hallo?”, rief Kendra. “Hallo, Mitzi? Was ist los?”
“Hallo.”
Oh, diese Stimme kannte sie. Brodie musste geradewegs ins Büro zurückgefahren sein, wahrscheinlich um sich über ihre Einstellung zu beklagen. Na prima, dann beruhte die Abneigung ja auf Gegenseitigkeit.
“Lass mich mit deinem Boss sprechen”, zischte sie. “Sofort.” Als sie ihn lachen hörte, spürte sie Ärger in sich aufsteigen. “Brodie, ich warne dich …”
“Du willst also mit dem Boss sprechen?”
“Hast du das endlich begriffen?”
“Den Boss von
Lakeview Construction?
Den Eigentümer, Manager und Aufsichtsratsvorsitzenden?”, meinte er amüsiert.
“Ja!”, rief sie wütend.
“Du sprichst mit ihm.” Plötzlich klang seine Stimme ungewohnt scharf. “Brodie Spencer gehört diese Firma. Er trifft hier alle Entscheidungen, und er wird auch dein Projekt leiten. Wir beide haben einen Vertrag. Das wird dir vielleicht nicht gefallen, aber du wirst dich daran halten müssen. Du hast ziemlich deutlich klargestellt, dass du mich nicht ausstehen kannst, aber einstweilen musst du dich mit mir abfinden. Gewöhn dich also besser daran, dass wir uns von nun an öfter sehen.”
Kendra verbrachte den Rest des Vormittags damit, die Küche leer zu räumen und alles Notwendige in die kleine Kochnische am anderen Ende des Gebäudes zu schaffen. Sie konnte sich nicht entsinnen, dass die Bedienstetenwohnung jemals benutzt worden wäre. Ihre Großmutter war anscheinend kränklich und auf Hilfe angewiesen gewesen. Nach dem Tod seiner Frau hatte Edward Westmore die Haushälterin jedoch entlassen. Von da an war täglich eine Frau aus dem Ort zum Kochen und Putzen herübergekommen. Molly Flynn war eine missmutige, unfreundliche Frau gewesen, und Kendra war froh gewesen, als Molly Flynn am Tag nach Edward Westmores Beerdigung verkündete, dass sie nicht mehr kommen würde. So war ihr die unerfreuliche Aufgabe erspart geblieben, die Frau zu entlassen.
Außerdem kam sie allein gut zurecht. Allerdings war sie nicht wirklich allein. In ihren Gedanken war Brodie Spencer immer bei ihr, sosehr sie auch versuchte, die Erinnerung an ihre Begegnung zu verdrängen. Ständig sah sie ihn vor sich: blaugrüne Augen mit einem spöttischen Funkeln, sinnliche Lippen und ein aufreizend männlicher Körper. Oh, wie sehr sie diesen Mann hasste!
Kendra stieß die Schwingtür mit der Hüfte auf, um den letzten Karton hinauszutragen. So, das war’s! Nun konnte
Lakeview Construction
mit der Arbeit beginnen. Sie öffnete das Fenster der kleinen Behelfsküche und blickte missmutig auf den kiesbedeckten Parkplatz vor dem Haus.
Megan und Brodies Tochter hatten sie in eine unangenehme Situation gebracht. Wenn Megan nun bis
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