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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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sie hatten gemeinsam aufgehört - und ihn während des endlosen Wartens voll Rastlosigkeit und Nervosität gebeten, ihr an einem Kiosk eine Zeitschrift zu besorgen, Glamour oder Elle, egal, wie alt. Er erinnerte sich an das lächerliche Klatschen seiner Schuhe auf dem Boden, als er den Raum durchquert hatte. Reklamezettel privater Händler waren an die Bäume vor dem Gebäude gepinnt worden - »Zu verkaufen! Die besten Medikamente!« -, was eine mögliche Erklärung für den Medikamentenmangel in der Klinik war. Pappelsamen stiegen in das Licht des Sommerabends auf. Was hatte er gedacht, als er selbstzufrieden auf der Treppe der Klinik gesessen hatte? Daß es ihnen endlich gelungen war, ein normales Leben zu führen, einen abgeschlossenen Raum zu schaffen, unberührt vom allgemeinen Chaos?
    Derweil wurde Irina von einer Krankenschwester in das Behandlungszimmer geführt. (Seither war er nachsichtiger mit Mördern geworden. Der sorgfältig geplante Hinterhalt, die phantasievolle Verkabelung, ein mit Plastiksprengstoff vollgepackter Wagen, die Mühe, die sie sich machten. Zumindest töteten sie bewußt.) Ihr Arzt erklärte ihr, daß die Klinik ihr übliches Medikament zur Zeit nicht vorrätig habe. Er wollte wissen, ob sie allergisch gegen Ampicillin und Penicillin war. Ja, Irina vergewisserte sich immer, daß diese Information auf ihrem Krankenblatt unterstrichen wurde. Dann hatte in der Tasche des Arztes ein Handy gepiept, und er war in den Flur gegangen, um mit seinem Börsenmakler über einen rumänischen Fonds zu reden, der eine dreihundertprozentige Rendite versprach. Die Krankenschwester im Behandlungszimmer hatte erst vor wenigen Minuten erfahren, daß ihre Wohnung von der Stadt an eine Schweizer Firma für Geschäftsimmobilien verkauft worden war. Bei wem sollte sie sich beschweren? Sie hatte das Wort »Ampicillin« aufgeschnappt. Und da die Tabletten ausgegangen waren, injizierte sie Irina eine Dosis und verließ das Zimmer. Hinrichtungen sollten kurz und gründlich sein.
    Als Arkadi die Zeitschrift gekauft hatte und dem hauchdünnen Schleier aus Pappelsamen zurück zur Klinik gefolgt war, war Irina schon tot. Die Krankenschwestern versuchten, ihn am Betreten des Behandlungszimmers zu hindern, ein Fehler. Die Ärzte versuchten seinen Weg zu dem Laken zu versperren, mit dem der Behandlungstisch bedeckt war, und auch das war ein Fehler. Das Ganze endete mit einer umgestürzten Liege und abgeräumten Tabletts, die weißen Hauben des medizinischen Personals fielen zu Boden, wurden zertrampelt, schließlich mußte die Miliz gerufen werden, um den Verrückten zu entfernen.
    Es war natürlich das reine Melodrama gewesen. Dabei hatte Irina Melodramen gehaßt, die dämonischen Exzesse eines Rußlands, wo Mafiosi kugelsichere Westen unter ihrer Abendgarderobe trugen und Bräute in durchsichtiger Spitze heirateten, wo der größte Reiz eines öffentlichen Amtes in der Immunität vor Strafverfolgung lag. Irina haßte das alles, und es mußte sie beleidigt haben, inmitten eines solchen russischen Melodramas zu sterben.
    Bis zum Start des Flugzeugs blieben ihm noch drei Stunden. Das Problem mit Fluggesellschaften war, daß sie ihren Passagieren das Tragen von Handfeuerwaffen verboten, dachte Arkadi. Sonst hätte er seine Pistole mitbringen und sich vor einer tropischen Kulisse mit fremden Sternkonstellationen und dunklen Dächern erschießen können, zwischen denen sich volle Wäscheleinen spannten wie geblähte Segel.
    Was war das letzte Bild gewesen, das Irina in der Klinik gesehen hatte? Die aufgerissenen Augen einer Krankenschwester, die den ganzen Abgrund ihres Fehlers begriffen hatte? Nicht allzu tief, nur intravenös, aber tief genug. Sie mußten es beide begriffen haben. Binnen Sekunden mußten sich auf Irinas Arm ein hervortretender hellroter Kreis gebildet und ihre Augen zu jucken begonnen haben. Später durfte Arkadi ihre Aussagen lesen, eine Geste der Höflichkeit, die er seinem Beruf verdankte. Irina Asanowa Renkowa öffnete die Tür zum Korridor, unterbrach das Gespräch des Arztes und hielt die leere Ampulle hoch. Ihr Atem ging bereits pfeifend. Während der Arzt einen Notfallkoffer anforderte, zitterte und schwitzte Irina am ganzen Körper, und ihr Herzschlag beschleunigte sich zu einem unregelmäßigen Flattern wie ein Flugdrachen, der von Windböen erfaßt wurde. Bis man den Notfallkoffer gefunden und hereingebracht hatte, stand sie bereits unter einem starken anaphylaktischen Schock, ihre Luftröhre war

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