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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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die Irina noch hatte durchleiden müssen. Es mußte nur genug Luft sein, nicht bloß eine Kette von Bläschen, sondern ein stattlicher Wurm aus Luft, weil das Herz sich heftig wehren würde, bevor es aufgab. Die Fensterläden wurden klappernd nach innen geweht. Perfektionist, der er war, stand er auf, um sie aufzustoßen, bevor er wieder am Tisch Platz nahm. Er rieb ein letztes Mal mit dem Mantel über seine Wange und spürte den Kaschmir, weich wie das Fell einer Katze, bevor er den Ärmel erneut hochschob, sich auf den Arm klopfte und die Nadel, als die Vene hervortrat, tief hineinstieß. In dem Kolben der Spritze wurden kleine Blutstropfen sichtbar.
    Über dem Pochen seines Herzens hörte er jemanden an die Tür klopfen.
    »Renko!« rief Rufo.
    Arkadi mußte den Kolben nur noch herunterdrücken, doch er wollte nicht, daß ihn jemand zu Boden fallen hörte. Sein Tod würde der Luftdruckkrankheit von Tiefseetauchern gleichen, und seine Zuckungen würden beträchtlichen Lärm verursachen. Wie ein Taucher unter der Wasseroberfläche wartete er, daß sein Besucher verschwand. Als das Klopfen beharrlicher wurde, rief er: »Gehen Sie weg.«
    »Machen Sie die Tür auf.«
    »Gehen Sie weg.«
    »Lassen Sie mich rein. Bitte, es ist wichtig.«
    Arkadi zog die Nadel heraus, band sich ein Taschentuch um den Arm, ließ seinen Ärmel herunter und die Spritze in die Tasche seines Mantels gleiten, bevor er zur Tür ging und sie einen Spalt öffnete.
    »Sie sind zu früh.«
     
    »Wir haben doch über Zigarren geredet, wissen Sie noch?« Rufo gelang es, sich Stück für Stück ins Zimmer zu drängen. Er trug jetzt einen einteiligen Jogginganzug und hatte eine Kiste aus hellem Holz in der Hand, auf der ein imposantes Siegel in Form gekreuzter Schwerter prangte. »Montecristos. Handgedreht aus den edelsten Tabakblättern der Welt. Für einen Zigarrenraucher so etwas wie der Heilige Gral.«
    »Ich rauche keine Zigarren.«
    »Dann verkaufen Sie sie. In Miami könnten Sie diese Kiste für tausend Dollar verkaufen. In Moskau vielleicht sogar für mehr. Für Sie hundert Dollar.«
    »Ich bin nicht interessiert, und ich habe keine hundert Dollar.«
    »Fünfzig Dollar. Normalerweise würde ich sie nicht so billig weggeben, aber…« Rufo breitete die Hände aus wie ein Millionär, dem vorübergehend das Kleingeld ausgegangen war. »Ich bin einfach nicht interessiert.«
    »Okay, okay.« Rufo war enttäuscht, blieb aber freundlich. »Übrigens habe ich, glaube ich, vorhin mein Feuerzeug hier vergessen. Haben Sie es gesehen?«
    Arkadi kam sich vor wie ein Mann, der aus einem Flugzeug springen wollte und ständig zurückgehalten wurde. Im Wohnzimmer war kein Feuerzeug. Arkadi suchte im Bad und im Schlafzimmer - nichts. Als er in den vorderen Raum zurückkam, kramte Rufo in der Papiertüte mit Pribludas persönlichen Sachen. »Da finden Sie bestimmt kein Feuerzeug.«
    »Ich wollte nur sichergehen, daß Sie alles haben.« Rufo hielt das Feuerzeug hoch. »Ich habe es gefunden.«
    »Auf Wiedersehen, Rufo.«
    »War mir ein Vergnügen. In einer Stunde bin ich wieder da. Vorher werde ich Sie nicht mehr stören.« Rufo tastete sich rückwärts Richtung Tür.
    »Sie haben mich nicht gestört. Aber jetzt auf Wiedersehen.«
     
    Sobald Rufo die Treppe hinunterging, schob Arkadi den Ärmel seines Mantels zurück, tastete mit dem Daumen nach seiner Vene und schlug mit einem Finger darauf. Der Drang, die Sache zu Ende zu bringen, war jetzt so stark, daß er dazu an der offenen Tür stehenblieb. Das Licht im Treppenhaus verlosch. Jetzt brauchte Rufo sein Feuerzeug. In dem Licht, das aus seinem Zimmer fiel, wirkte Arkadis entblößter Arm wie aus Marmor. Aus einem anderen Apartment wehten Salsaklänge herüber. Wenn Kuba im Meer versinken würde, würde das Wasser von Musik widerhallen. Seine Kehle war trocken und wund. Er lehnte sich an die Wand, nahm die lange Spritze aus seiner Manteltasche, tastete zögerlich mit der Nadel über seine Vene, bis ein roter Tropfen erschien und an seinem Handgelenk herunterfloß. Er wischte ihn ab, damit der Mantel nicht schmutzig wurde. Im selben Moment hörte er jemanden die Treppe heraufkommen, zog sich, die Spritze in der Hand, in sein Apartment zurück und lehnte sich gegen die Tür. Die Schritte im Flur hielten vor seiner Tür an. »Ja?« fragte Arkadi. »Ich habe die Zigarren vergessen.«
    »Rufo -«
    Sobald Arkadi die Tür geöffnet hatte, katapultierte Rufo ihn vorbei an den creme- und goldfarbenen Eßzimmerstühlen

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