Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
auf der Behandlung depressiver Patienten.«
»Was ist das für eine Studie?« Eigentlich interessierte Koster das gar nicht so genau, aber von dieser Studie war jetzt schon öfter die Rede gewesen.
»Wir testen Duoxepin. Das ist ein neues Medikament, das Depressionen heilen soll. Vielleicht beendet es das Leiden von Millionen Menschen.« Als ob sie dieser Satz die verbleibende Energie gekostet hätte, fuhr sie fort: »Ich bin jetzt fast vierundzwanzig Stunden im Dienst. Ich kann nicht mehr …«
Koster hatte Erbarmen. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt …« Er reichte ihr seine Visitenkarte. »Rufen Sie mich an.«
»Bekommt man hier irgendwo ein anständiges Frühstück und ordentlichen Kaffee?«, fragte Liebetrau, während er sich umständlich aus seinem Sessel erhob.
»Im nördlichen Teil des Klinikgeländes.« Die Ärztin zeigte in Richtung Fenster. »Das Ärztekasino müsste gerade öffnen.«
»Das sehen wir uns mal an, ich bin am Verhungern. Der Staatsanwalt muss bis nach dem ersten Kaffee warten. Mach mich doch nicht verrückt«, murmelte Liebetrau im Hinausgehen. Sie gab ihm ein schmales Lächeln mit auf den Weg.
*
David Brömme saß meditierend auf seinem Bett in Zimmer 203. Seine langen Beine hatte er barfuß in den Lotossitz gequält. Durch seine blonden kurzen Haare, die vom Schlaf noch ganz verstrubbelt waren, blitzten Segelohren. Die Hände hatte er vor sich auf die Knie gelegt, während sein Blick ruhelos umherirrte. Was er sah, konnte aber auch jeden deprimieren. Ihn erinnerte das Zimmer mit seinen zwei stählernen Krankenhausbetten und den grauen Nachtschränkchen auf grauem Linoleum an eine Gefängniszelle. Nicht, dass er schon einmal im Gefängnis gewesen wäre, aber so stellte er es sich vor. Der weiß-graue Einheitsbrei wurde an den Wänden von Claude Monet unterbrochen. Doch der eine Druck war im Rahmen verrutscht. Das störte ihn. Konnten sie die Bilder nicht wenigstens anständig aufhängen? Und warum immer Kandinsky oder Monet? Wie in schlechten Hotels. Die »Seinebrücke bei Argenteuil« hing ihm zum Hals raus. Der arme Monet.
Sein linker Fuß war eingeschlafen. Er registrierte es, bewegte sich aber nicht. Er wollte noch etwas länger aushalten und den kribbelnden Schmerz spüren. Und grübeln. Nicht nur über die vergilbten Bilder.
Isabell. Isabell war tot. Er war fast acht Wochen auf der Station und hatte einiges erlebt. Nun hatte Isabell sich erhängt. Es tut mir leid, Herr Brömme … Wir können nichts mehr für Ihre Mutter tun … Das viele Blut und ihre Augen, ihre weit aufgerissenen Augen, in Angst erstarrt …
Die Bilder bereiteten ihm Kopfschmerzen. Bereits jetzt kursierten auf der Station Gerüchte: Es soll Mord gewesen sein. Das war natürlich Unsinn. Isabell hatte sich entschieden. Warum auch nicht? Sie hatte eine Menge Gründe, mit dem Leben abzuschließen. Sie war innerlich vor die Hunde gegangen. Er hatte in den letzten Wochen viel Zeit mit ihr verbracht. Keiner hatte ihre desolate Stimmung bemerkt. Im Leben keinen Blick wert, zollte man ihr im Tod endlich Aufmerksamkeit. Ihr Karma. Sie hatte ihm natürlich nichts von ihrem Entschluss gesagt. Das war in Ordnung. Er hätte sie nicht abgehalten, aber das konnte sie ja nicht wissen.
Ihn wunderte, dass sie es in ihrem Zimmer getan hatte. Diese Rücksichtslosigkeit passte gar nicht zu dem grauen Mäuschen. Die Buschtrommeln behaupteten, ein Fremder sei auf der Station gewesen und habe Isabells Geld und Tagebuch geklaut. Das machte ihn schon neugierig. Ob in dem Buch etwas über ihn stünde? Das Tagebuch hätte er gerne. Er wollte mit der Henke sprechen. Vielleicht wusste sie mehr. Er vermutete, dass sie bereits auf ihn wartete. Sie war gut gebaut, und es machte ihm nichts aus, dass sie über zwanzig Jahre älter und nicht gerade eine Stimmungskanone war. Im Gegenteil: Er mochte ihr trauriges Wesen, die verlorene Seele. Lief da was zwischen ihr und dem Oberarzt? Er glaubte, Blicke aufgefangen zu haben. Eine interessante Frage, der er unbedingt nachgehen wollte. Später.
Er rutschte zur Seite, um seinen Fuß zu entlasten. Sein Blick fiel auf das achtlos über die Stuhllehne geworfene Sweatshirt. Das Logo der Hamburger Universität war ausgewaschen. Dort war er schon über ein Jahr nicht mehr gewesen. Er hatte so einiges aufgegeben. Er vermisste nichts davon. Wenn er versuchte, sich an die schönen Zeiten an der Uni zu erinnern, fiel ihm nichts ein. Irgendwann würde er entscheiden müssen, wie es weitergehen sollte. Der
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