Nacht über den Wassern
Serviette gegen den Mund, um ein Schluchzen hinunterzuwürgen, stieß ihren Stuhl zurück, stand auf und floh aus dem Zimmer.
Die Eltern hatten die Sache offensichtlich seit Monaten geplant.
Percy kam nach dem Mittagessen in Margarets Zimmer und berichtete ihr die Einzelheiten. Das Haus sollte geschlossen, die Möbelstücke mit Tüchern gegen Staub geschützt und die Dienstboten entlassen werden. Vaters Geschäftsführer sollte die Verwaltung des gesamten Besitzes übernehmen. Mieten und Pachteinnahmen würden sich in der Bank ansammeln, denn aufgrund der kriegsbedingten Währungskontrollbestimmungen konnte das Geld nicht nach Amerika überwiesen werden. Die Pferde würden verkauft, die Wolldecken eingemottet und das Silber weggeschlossen werden.
Elizabeth, Margaret und Percy sollten je einen Koffer packen, ihre übrigen persönlichen Sachen würden durch eine Transportfirma nachgeschickt werden. Vater hatte bereits die Flüge gebucht – am Mittwoch würden sie alle mit dem Pan-American-Clipper abreisen.
Percy war schrecklich aufgeregt. Er war zwar schon zweimal geflogen, aber mit dem Clipper würde das etwas ganz anderes sein. Das Flugzeug war gewaltig und außerordentlich luxuriös. Die Zeitungen waren voll davon gewesen, als die Fluglinie vor ein paar Wochen eröffnet wurde. Der Flug nach New York dauerte neunundzwanzig Stunden, und nachts, über dem Atlantik, konnte man sich sogar ins Bett legen.
Das ist mal wieder typisch, dachte Margaret, daß sie in Pomp und Luxus abreisten und ihre Landsleute den Entbehrungen und Härten des Krieges überließen.
Percy ging, um seine Sachen zu packen, und Margaret legte sich auf ihr Bett und starrte verbittert und in ohnmächtiger Wut gegen die Zimmerdecke, bis ihr die Tränen in die Augen stiegen.
Sie blieb bis zur Schlafenszeit in ihrem Zimmer.
Am Montag morgen, als sie noch im Bett lag, kam Mutter in ihr Zimmer. Margaret richtete sich auf und musterte sie mit feindseligem Blick. Mutter setzte sich an den Frisiertisch und blickte Margaret im Spiegel an. »Bitte, fang keinen Streit mit deinem Vater an«, sagte sie.
Margaret entging nicht, wie nervös ihre Mutter war. Unter anderen Umständen wäre sie vielleicht sanfter mit ihr umgegangen, aber im Moment war sie zu erregt, als daß sie hätte Mitgefühl empfinden können. »Es ist so feige!« platzte sie heraus.
Mutter wurde blaß. »Wir sind nicht feige!«
»Aber fortzulaufen, wenn ein Krieg beginnt!«
»Wir haben keine Wahl. Wir müssen weg.«
Margaret blinzelte verwirrt. »Wieso?«
Nun drehte Mutter sich vom Spiegel um und blickte sie fest an. »Weil man sonst deinen Vater verhaften wird.«
Margaret war vollkommen verblüfft. »Aber wieso? Wie können sie das tun? Es ist doch kein Verbrechen, ein Faschist zu sein.«
»Es gibt besondere Notstandsgesetze. Was spielt das schon für eine Rolle? Ein Bekannter aus dem Innenministerium hat uns gewarnt. Wenn Vater Ende der Woche noch hier ist, wird er verhaftet.« Margaret fiel es schwer zu glauben, daß man ihren Vater wie einen gemeinen Dieb ins Gefängnis werfen wollte. Plötzlich kam sie sich sehr dumm vor, weil sie überhaupt nicht bedacht hatte, wie sehr der Krieg ihr Leben verändern würde.
»Aber sie gestatten uns nicht, Geld mitzunehmen«, fuhr Mutter bitter fort. »Soviel zum Fair play der Briten!«
Geld war das letzte, worüber Margaret sich jetzt Sorgen machte. Ihr gesamtes Leben hing in der Schwebe. Sie faßte sich ein Herz und beschloß, ihrer Mutter die Wahrheit zu sagen. Bevor sie der Mut wieder verließ, holte sie tief Luft und sagte: »Mutter, ich werde nicht mitkommen!«
Mutter zeigte kein Erstaunen. Vielleicht hatte sie so etwas sogar erwartet. In dem milden, gleichmütigen Ton, dessen sie sich immer bediente, wenn sie sich bemühte, eine Diskussion zu vermeiden, erklärte sie: »Du mußt mitkommen, Liebes.«
»Mich werden sie nicht ins Gefängnis stecken. Ich kann bei Tante Martha wohnen oder bei Kusine Catherine. Bitte sprich mit Vater darüber, ja?«
Mit einemmal wurde Mutter ungewohnt heftig. »Ich habe dich unter dem Herzen getragen und werde nicht zulassen, daß du dein Leben in Gefahr bringst, solange ich es verhindern kann!«
Einen Augenblick lang erschrak Margaret über Mutters Gefühlsausbruch, dann begehrte sie auf: »Ich sollte schließlich auch etwas dazu sagen dürfen – immerhin ist es mein Leben!«
Mutter seufzte. Auf ihre übliche ruhige, scheinbar gleichmütige Weise meinte sie: »Es spielt keine Rolle, was wir, du
Weitere Kostenlose Bücher