Nacht über den Wassern
nachdenklich.
Jenkins trug Margarets Koffer hinunter in die Halle. Sie würden schon früh am Mittwoch morgen aufbrechen. Als Margaret die Koffer sah, wurde ihr bewußt, daß sie die Zeit des Krieges in Connecticut verbringen würde, wenn sie bloß schmollend herumsaß. Trotz Mutters Flehen, keinen Ärger zu machen, mußte sie mit ihrem Vater sprechen.
Schon bei dem Gedanken wurden ihr die Knie weich. Sie kehrte auf ihr Zimmer zurück, um sich selbst Mut zu machen. Sie würde ganz ruhig sein. Tränen rührten ihn nicht, und Wut würde nur seinen Spott herausfordern. Sie mußte vernünftig, verantwortungsbewußt und reif wirken. Sie durfte nicht groß herumargumentieren, weil ihn das bloß in Rage versetzen würde, und das wiederum würde sie so einschüchtern, daß sie nicht weiterreden könnte.
Wie sollte sie anfangen? »Ich finde, daß ich ein Recht habe, meine Zukunft selbst zu gestalten.«
Nein, das wäre nicht gut. Er würde entgegnen: »Ich bin für dich verantwortlich, deshalb habe ich zu entscheiden!«
Vielleicht sollte sie sagen: »Kann ich mit dir über die Reise nach Amerika reden?«
Er würde vermutlich antworten: »Darüber gibt es nichts zu reden.«
Ihre Eröffnung mußte so unverfänglich sein, daß er sie nicht gleich abschmetterte. Sie beschloß zu sagen: »Darf ich dich etwas fragen?« Dazu mußte er ja sagen.
Was dann? Wie konnte sie zum Thema kommen, ohne daß er es gleich mit einem seiner schrecklichen Wutanfälle unterband? Sie könnte sagen: »Du warst im letzten Krieg doch in der Armee, nicht wahr?« Sie wußte, daß er in Frankreich an der Front gewesen war. Dann würde sie fortfahren: »War Mutter auch im Einsatz?« Auch darauf kannte sie die Antwort. Mutter war freiwillige Krankenschwester in London gewesen und hatte verwundete amerikanische Offiziere gepflegt. Schließlich würde sie sagen: »Ihr habt beide euren Ländern gedient, deshalb bin ich überzeugt, daß du verstehen wirst, wenn ich das gleiche tun möchte.« Also dagegen konnte er doch wirklich nichts sagen.
Wenn er dagegen prinzipiell nichts zu sagen vermochte, würde sie mit seinen anderen Einwänden schon fertig werden, dachte sie. Sie könnte bei Verwandten wohnen, bis sie im A.T.S. aufgenommen wurde, und das würde bestimmt in wenigen Tagen der Fall sein. Sie war neunzehn: Viele Mädchen in diesem Alter arbeiteten bereits seit sechs Jahren. Sie war alt genug zu heiraten, einen Wagen zu fahren und ins Gefängnis gesteckt zu werden. Da konnte es doch keinen Grund geben, weshalb man ihr nicht erlauben sollte, in England zu bleiben.
Das klang logisch. Nun brauchte sie nur noch den nötigen Mut.
Vater war jetzt vermutlich mit seinem Geschäftsführer im Arbeitszimmer. Margaret verließ ihr Zimmer, doch auf dem Gang begann sie vor Angst zu zittern. Vater wurde immer so wütend, wenn man sich ihm widersetzte. Sein Zorn war entsetzlich und seine Strafen grausam. Mit elf hatte sie einmal einen ganzen Tag in einer Ecke seines Arbeitszimmers stehen müssen, mit dem Gesicht zur Wand, weil sie unhöflich zu einem Gast gewesen war; mit sieben hatte er ihr den geliebten Teddybären weggenommen, weil sie ins Bett gemacht hatte; und einmal hatte er in seiner Wut eine Katze aus einem Fenster im ersten Stock geworfen. Was würde er jetzt tun, wenn sie ihm erklärte, daß sie in England bleiben und gegen die Nazis kämpfen wollte?
Sie zwang sich, die Treppe hinunterzugehen, doch ihre Furcht wuchs, je mehr sie sich dem Arbeitszimmer näherte. Sie stellte sich vor, wie er zornig wurde, wie sein Gesicht sich rötete, wie seine Augen hervorquollen, da lähmte ihre Angst sie fast. Sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich fragte, was sie zu befürchten hatte. Sie war kein kleines Mädchen mehr, dem man das Herz brechen konnte, indem man ihm den Teddy wegnahm. Doch tief im Innern wußte sie, daß ihm sicher eine neue Herzlosigkeit einfiel, die sie wünschen lassen würde, tot zu sein.
Während sie zitternd vor der Tür zum Arbeitszimmer stand, kam die Haushälterin in einem raschelnden schwarzen Seidenkleid durch die Halle. Mrs. Allen herrschte mit strenger Hand über das weibliche Hauspersonal, aber den Kindern gegenüber war sie immer nachsichtig. Sie mochte die Familie und war traurig darüber, daß sie wegging; für sie war es das Ende eines Lebensabschnitts. Sie lächelte Margaret unter Tränen an.
Als Margaret sie anblickte, kam ihr eine Idee, die so kühn war, daß ihr Herz aussetzte.
Sie sah alles genau vor sich. Sie
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