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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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selbst mußte auf die zwei kleineren Kinder achtgeben. Sie konnte ihr Haus nicht verlassen, nur um nach einem langen Marsch eine Entschuldigung bei der Schule vorzubringen. Wegen dreier Tage!
    »Den Brief an das Hospital«, entschied der Blinde. »Die Schwestern sollen sich um die Frau und um den epileptischen Jungen kümmern, auch wenn keine Autostraße dorthin führt.« Er sprach entschieden, aber doch nicht mit soviel eindringlicher Aufmerksamkeit, wie man sie selbst in geringfügigen Angelegenheiten bei ihm gewohnt war.
    Nach einigem Schweigen zeigte es sich, wohin seine Gedanken wieder abgeirrt waren. »Runzelmann, warum nennt ihr Joe King auch Stonehorn?«
    Der Helfer ließ sich zu einer Auskunft herbei. »Die Mutter seiner Mutter war eine aus dem Geschlecht des Inya-he-yukan, des Steins mit Hörnern, von dem wir nur Gerüchte und Sagen kennen. Wir wissen nicht, ob es ihn je gegeben hat. Aber sie nannte ihren Sohn nach ihm, als er die Schläge des Großvaters überlebte.«
    »Der Großvater haßte diesen Enkel?«
    »Der Großvater liebte den Brandy, und Stonehorn ist schon mit zwei Jahren wild und böse wie eine Raubkatze gewesen.«
    »Wir müssen arbeiten. Ist weitere Post da?«
    Auf diese Weise hätte Ed Crazy Eagle nicht abschließen dürfen. Er wußte es selbst, kaum daß er die Worte gesprochen hatte. Nun würde Runzelmann nicht so leicht wieder den Mund öffnen, vielleicht in dieser Sache nie wieder.
    »Es ist keine weitere Post da. In einer halben Stunde beginnt der erste Termin.«
    Die halbe Stunde verlief ungenutzt.
    Aus dem Zimmer des alten Richters kamen die beiden indianischen Polizisten heraus. Crazy Eagle hörte sie durch den schmalen Korridor gehen und das Haus verlassen.
    Draußen sprang der Motor des Jeep an. Die Polizei benutzte diese Fahrzeugart, mit der sie auf der Prärie auch ohne Weg und Steg vorwärts kommen konnte.
     
    Als es hoher Mittag wurde und die Beamten auf die Uhr schauten, waren auch die Vormittagstermine auf dem Gericht erledigt. Crazy Eagle entschloß sich, noch zu den Fachdezernaten hinüberzugehen. Das Wohlfahrtswesen verwaltete eine blondierte Frau. Sie machte einen intelligenten Eindruck, war angenehm gerundet und so mit dem nötigen Schwergewicht versehen, um viele Leute mit wenig Geld zu versorgen. Eine magere alte Indianerin verließ eben das Wohlfahrtsbüro. Kate Carson freute sich, als der Blinde – ohne Begleiter – eintrat.
    »Ed«, sagte sie hinter der Barriere, die den Raum teilte, »hier spielen sie alle verrückt, weil Joe King gesehen worden ist. Gestern war der Vater bei mir und hat sich seine Rente geholt. Er wird sie versaufen, und es kann wieder Schlägereien geben. Das kenne ich seit fünfzehn Jahren, es ändert sich nichts. Überhaupt ändert sich noch viel zuwenig. Aber deshalb wollte ich nicht zu Ihnen hinüberkommen. Es geht um unsere Teenager, die jetzt in den Ferien zu Hause sein werden. Stonehorn kann sich unter ihnen aussuchen, wen er will. Viele bewundern ihn im stillen – fürchte ich.«
    Ed hatte sich einen Stuhl vor die Barriere gerückt.
    »Es gäbe schon Beschäftigung für die Jungen und Mädchen. Aber Haverman« – er deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung des Nebenzimmers –, »Haverman ist zu schwerfällig, und er sieht sich nicht genug auf anderen Reservationen um, was dort gemacht wird. Er kann auch nicht mit unseren Leuten zusammenarbeiten, scheint mir. Er regiert immerzu.«
    Die füllige Blondierte erhob sich auf eine höchst eigenartige Weise, als ob sie an ihrem Schopf in die Höhe gezogen würde. Sie starrte nach dem Fenster. Das konnte der Blinde nicht sehen, aber an der Richtung eines Lautes, den sie ausstieß, erkannte er, wohin sie blickte.
    »Was gibt es draußen?«
    Kate Carson wandte sich verblüfft um. »Woher wissen Sie denn…Himmel… scht… er kommt zu uns. Wahrhaftig… Das muß sofort ausgenutzt werden.«
    Kate Carson puderte sich schnell über. Es war ein glutheißer Tag, in ihrem Zimmer gab es keinen Temperaturregler, und obgleich sie sich keinen Augenblick vom Stuhl gerührt hatte, war ihre Gesichtshaut naß von Schweiß.
    Der Blinde lauschte, er hatte ein feineres Gehör als andere. Die Haustür wurde auf- und zugemacht, leiser noch, als Nick Shaw das vermochte. Kaum hörbare Schritte gingen durch den Korridor. Entweder trug jemand Mokassins, oder die hohen Schuhe waren von weichem, bestem Leder. Die Schritte waren raumgreifend, wie ein großer und sehniger Mensch sie mühelos macht. Jemand trat in das

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