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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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los war, nachdem ich nach Nottingham kam, und zwar deshalb: Ich war in Nottingham, und er war in Newton of Wemyss. Und auch wenn wir beide am gleichen Ort gewesen wären, wären wir nicht das gewesen, was man Freunde nennt.«
    Die Worte trafen sie wie eine kalte Dusche. Stimmte irgendetwas mit Logan Laidlaws Erinnerung nicht? War er dabei, sein Gedächtnis zu verlieren? »Nein, das stimmt nicht«, widersprach sie. »Er ist mit Ihnen nach Nottingham gegangen.«
    Es folgte ein schallendes Lachen, dann ein rauher Husten. »Jemand hat Sie veräppelt, Mädchen«, keuchte er. »Eher hätte Trotzki persönlich den Streik gebrochen als der Mick Prentice, den ich gekannt habe. Wieso glauben Sie denn, dass er nach Nottingham kam?«
    »Das bin ja nicht nur ich. Alle glauben, dass er mit Ihnen und den anderen Männern nach Nottingham gegangen ist.«
    »Das ist ja verrückt. Warum sollten das alle denken? Kennen Sie Ihre eigene Familiengeschichte nicht?«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Herrgott noch mal, Mädchen, Ihr Urgroßvater. Der Großvater Ihres Vaters. Wissen Sie nichts über ihn?«
    Misha hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte, aber zumindest hatte er nicht aufgelegt, wie sie befürchtet hatte. »Er ist gestorben, bevor ich zur Welt kam. Ich weiß überhaupt nichts über ihn, außer dass er auch Bergmann war.«
    »Jackie Prentice«, begann Laidlaw vorwurfsvoll und beinahe etwas genüsslich. »Er war damals 1926 Streikbrecher. Nachdem alles vorbei war, musste man ihm eine Arbeit im Tagebau geben. Wenn dein Leben von den Männern in deiner Gruppe abhängt, willst du als Streikbrecher nicht da unten sein. Höchstens, wenn alle anderen im gleichen Boot sitzen, wie es bei uns der Fall war. Weiß Gott, warum Jackie im Dorf geblieben ist. Er musste den Bus nach Dysart nehmen, wenn er einen trinken gehen wollte. In den Dörfern von Wemyss gab es kein Lokal, in dem man ihn bedient hätte. Ihr Dad und Ihr Grandpa mussten also zweimal so hart arbeiten wie alle anderen, um unten in der Grube akzeptiert zu werden. Niemals hätte Mick Prentice diesen Respekt einfach aufgegeben. Eher hätte er gehungert. Und hätte auch in Kauf genommen, wie Sie mit ihm hungerten. Woher auch immer Sie Ihre Informationen haben, die haben keine verdammte Ahnung.«
    »Meine Mutter hat es mir erzählt. Und alle in Newton sagen das auch.« Die Schockwirkung seiner Worte gab ihr das Gefühl, als bekäme sie plötzlich keine Luft mehr.
    »Na, dann irren sie sich eben. Warum denken sie das bloß?«
    »Weil er in der Nacht, als Sie nach Nottingham gingen, zum letzten Mal in Newton gesehen wurde oder man von ihm gehört hatte. Und weil meine Mutter manchmal per Post Geld mit dem Nottinghamer Poststempel geschickt bekommt.«
    Laidlaw schnaufte schwer, was sich wie ein Schifferklavier an ihrem Ohr anhörte. »Meine Güte, das ist ja bescheuert. Mein liebes Kind, tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss. Wir sind damals in der Dezembernacht zu fünft aus Newton of Wemyss weggegangen. Aber Ihr Dad war nicht dabei.«

[home]
Mittwoch, 27. Juni 2007,
Glenrothes
    K aren ging auf dem Rückweg zu ihrem Schreibtisch in der Kantine vorbei und holte sich ein Sandwich mit Geflügelsalat. Von Kriminellen und Zeugen ließ sich Karen zwar selten täuschen, aber wenn es ums Essen ging, konnte sie sich selbst bereits vor dem Frühstück siebzehnmal etwas vormachen. Das Sandwich zum Beispiel. Vollkornbrot, ein Lappen welker Salat, zwei Tomatenscheiben und Gurke machten schon ein gesundes Essen. Butter und Mayonnaise spielten keine Rolle. In ihrem Kopf wurden die Kalorien durch die Vorteile aufgewogen. Sie klemmte ihr Notizbuch unter den Arm und riss im Gehen die Plastikverpackung auf.
    Phil Parhatka sah auf, als sie sich auf ihren Stuhl plumpsen ließ. Nicht zum ersten Mal erinnerte sie die Art und Weise, wie er den Kopf hielt, an eine dunklere, dünnere Ausgabe von Matt Damon. Nase und Unterkiefer genauso vorspringend, die geraden Augenbrauen, der Haarschnitt wie im Film
Die Bourne Identität
, der Gesichtsausdruck, der in einer Sekunde von Offenheit zu Vorsicht wechseln konnte. Nur die Farbtöne waren anders. Phils polnische Herkunft war verantwortlich für sein dunkles Haar, die braunen Augen und die derbe blasse Haut. Seine eigene Note hatte er mit dem winzigen Loch im linken Ohrläppchen hinzugefügt, in dem normalerweise, wenn er nicht im Dienst war, ein Diamantstecker saß. »Wie war’s denn?«, erkundigte er sich.
    »Interessanter, als ich erwartet hatte«, gab

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