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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Jahrelang hatte sich jede seiner Ideen als belangloses Puzzleteilchen oder als Sackgasse erwiesen. Aber Liddell, der Chef, hatte an ihm festgehalten. Er hatte gesagt: »So funktioniert Geheimdienstarbeit, Knowlden. Man rätselt, man probiert aus, man geht scheinbar wahnwitzigen Fährten nach. Bis zum Volltreffer. Bleiben Sie dran an Nachtauge. Irgendwann wird die Falle zuschnappen.« Wenn dieser Einfall Erfolg hatte …
    Da! Monotone Morsesignale tickten durch den Raum. Spri gings saß mit angehaltenem Atem auf seinem Stuhl und lauschte. Ohne auf den Zettel zu sehen, schrieb er mit, wie automatisch, der Bleistift hielt Gruppen von jeweils fünf Zahlen fest. »Das ist sie«, flüsterte er.
    »Hören Sie auf«, verlangte Eric. »Die Nachricht ist jetzt erst mal zweitrangig. Sagen Sie den anderen, auf welcher Frequenz sie suchen müssen!«
    Sprigings legte den Bleistift weg und gab an die Fernpeilstationen durch: »Kurzwelle sechseinhalb Megahertz. Peilen Sie.«
    Kurz darauf gaben die Fernpeilstationen Koordinaten durch. Eric schnappte sich den Bleistift und malte, indem er fest aufdrückte, ein Dreieck auf die Landkarte an der Wand. Es hatte Seitenlängen von etwa zehn Kilometern und lag im westlichen London. Auch Wormwood Scrubs lag innerhalb des Dreiecks. »Sie könnte hier im Haus sein«, murmelte er. »Fantastisch.«
    »Was finden Sie daran fantastisch?«, fragte Sprigings entsetzt.
    »Dieses Teufelsweib hält sich direkt vor unseren Augen auf, und wir sehen sie nicht.« Er pochte mit dem Bleistift auf die Karte. »Genauer geht das nicht?« Aber er wusste es selbst. Die Fernpeilsender maßen nur die Raumwelle, die vom Sender in die Ionosphäre ausstrahlte und von dort auf die Erde reflektiert wurde. Da gab es eine Menge Störungen. Er riss kurzerhand die Karte von der Wand.
    »Was tun Sie da?«, entrüstete sich Sprigings.
    »Sie funkt selten und hat sicher viel durchzugeben. Aber vielleicht hat sie schon vor einer Viertelstunde begonnen. Bevor die Nachricht übermittelt ist, müssen wir sie gefunden haben.« Eric trat nach draußen. Die Männer der Peiltrupps sammelten sich bereits im Flur. Ein paar der Gesichter waren ihm bekannt von früheren Einsätzen. »Haben wir Fahrzeuge?«, fragte er.
    Die Männer nickten.
    »Dann los.«
    Auf dem Weg durch das Gebäude teilte er ihnen die Straßen zu. Als sie auf den Hof traten, sagte er: »Ich begleite den Peiltrupp, der nach Acton hineinfährt.« Im Gewimmel der ausländischen Kriegsflüchtlinge, die sich selbst nicht gut in London auskannten, fiel eine Fremde nicht auf. Außerdem verfälschten die Hochspannungsleitungen, Maschinen und Bahngleise in Acton die Nahfeldpeilung, wer heimlich funken wollte, war nirgendwo so sicher wie dort. Ein ideales Versteck für Nachtauge.
    Sie stiegen in die Fahrzeuge. Keines würde auffallen: Sie fuhren einen Lieferwagen, einen Krankenwagen, der während des Bombenangriffs durchaus im Einsatz sein konnte, und eine zerschrammte Limousine. Die Deutsche durfte sie nicht bemerken, sonst würde sie sofort den Funkkontakt zu ihren Verbündeten in der Luft beenden.
    Er schloss die Beifahrertür des Krankenwagens und gab die abgerissene Karte nach hinten weiter. Im Gegenzug verlangte er die Kopfhörer.
    »Sie wollen den Einsatz nicht leiten?«, fragte der verblüffte Funker.
    »Nein, das übernehmen Sie. Halten Sie den Kontakt mit den anderen Wagen und schränken Sie das Gebiet so weit wie möglich ein. Ich will die Deutsche hören.«
    Während der Fahrer den Wagen aus dem Gefängnishof steuerte, setzte sich Eric die Kopfhörer auf. Er hörte einen schwachen Summton. Als sie gen Norden einbogen, wurde er schwächer. »An der nächsten Kreuzung links«, sagte er, »und dann wieder links.«
    Der Funker sprach leise in sein Funkgerät. Dann sagte er, an alle im Auto gerichtet: »Die anderen haben sie recht stark in der Uxbridge Road.«
    Das Summen wurde stärker. »Wir nähern uns«, sagte Eric.
    Der Funker sagte: »Team drei hat den Sendebereich verlassen und wendet.«
    Ein dicht besiedeltes Gebiet wie London erschwerte das Peilen mittels der Nahfeldstrahlen erheblich. Sie maßen nur die Bodenwelle, die sich längs der Erdoberfläche verbreitete, und die besaß eine begrenzte Reichweite. Aber Nachtauge sendete noch. Bombentreffer erschütterten den Boden. Eine grimmige Entschlossenheit hatte vom Peiltrupp Besitz ergriffen, Eric konnte es an den Gesichtern der Männer ablesen, keiner von ihnen wollte in diesem Augenblick woanders sein als hier in

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