Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Bett, Tisch und Stuhl sowie einem Regal voller Bücher. Pia zündete einen Kerzenleuchter an und sagte: »Der Morgen graut. Versuche ein wenig zu schlafen.«
Dann kü sste sie mich und ging.
Als ich allein war, setzte ich mich auf das Bett und überdachte meine Situation. Zwar hatte meine Umgebung – so unheimlich und bedrückend sie auch für menschliche Wesen wirken mochte – eine beruhigende Wirkung auf mich. Aber ich sah immer wieder Michaels blutenden Körper vor mir. Er hatte sein Leben riskiert, um mich, eine Mörderin, zu schützen. Wie konnte ich ihm nur helfen?
In diesen Stunden, allein in meiner kleinen Kammer tief unter der Erde, kam mir der ungeheure Gedanke das erste Mal. Ich versuchte ihn zu verdrängen. Es war verboten. Es war unmöglich. Ich kannte das Geheimnis nicht. Michael würde es nicht wollen – und doch wurde ich den Gedanken nicht mehr los. Was wäre, wenn ich es könnte? Wenn es in meiner Macht stünde, ihn, meinen Geliebten, zu meinesgleichen zu machen? Mit ihm Jahrhunderte gemeinsam zu leben? Würde ich es tun, wenn ich dazu in der Lage wäre?
Schließlich, nach Stunden, schlief ich ein.
Ich erwachte, als sich die Zimmertür knarrend öffnete. Ich fuhr hoch. Es war Pia, die beruhigend die Hände hob und sich zu mir auf das Bett setzte.
»Was ist mit Michael?« fragte ich sofort.
»Er liegt auf der Intensivstation des Städtischen Krankenhauses. Sein Zustand ist kritisch. Er wird künstlich am Leben erhalten. Man muss abwarten. Noch kann niemand etwas sagen. Ich habe zwei von seinen Kollegen belauscht. Linda hat bisher nichts erzählt. Sie sagt, dass sie sich an nichts erinnern könne.«
Gute, alte Linda, dachte ich. Sie wollte mich schützen. Aber wie lange würde das gutgehen? Und was würde geschehen, wenn Michael wieder erwachte?
»Komm jetzt«, sagte Pia und riß mich aus meinen Gedanken. »Die Oberin will uns sehen.«
Wir gingen schweigend den Gang hinunter in den Versammlungsraum. Var und Dinah saßen am Kopfende des Tisches. Dinah bedeutete uns mit einer knappen Geste, da ss wir uns setzen sollten.
»So hört, was wir entschieden haben«, sagte Dinah.
Sie funkelte mich mit ihren kalten Augen an und deutete auf mich.
»Du, Ludmilla, hast unverzeihliche Fehler begangen, die alle Schwestern gefährden. Fehler, die du selber wieder gutmachen wirst. Du mu sst lernen, wie eine Vampirin zu handeln. Du wirst in die Stadt zurückkehren. Dort wirst du, sobald es Gelegenheiten gibt, unverzüglich den Polizisten und die Frau töten. Sie wissen zuviel und dürfen niemals reden. Pia wird dich begleiten und darauf achten, dass du in unserem Sinne handelst. Tust du nicht wie dir befohlen, wirst du aus dem Orden der Schwestern verstoßen und dem Feuer übergeben.«
Ich stand da wie erstarrt, zu keiner Bewegung fähig. Mi chael und Linda töten? Ein unfassbarer Gedanke. Unmöglich! Ich wollte schreien, mich weigern, Dinah ein »Niemals« ins Gesicht schleudern. Aber ich schwieg. Fassungslos und voller Ohnmacht. Denn mir war sofort klargeworden, dass ich keine Chance hatte, Michael und Linda zu retten. Weigerte ich mich, würde ich sofort sterben, und eine der anderen Schwestern würde meinen Freunden den Tod bringen. Was sollte ich nur tun?
Schließlich nahm Pia meinen Arm.
»Wir werden euren Befehl ausführen«, sagte sie und zog mich mit hinaus. Ich folgte ihr wie hypnotisiert.
Kurz darauf verließen wir das Gewölbe durch den getarnten Ausgang. Draußen dämmerte es bereits. Ich sagte kein Wort, als Pia mich in den Wald hineinzerrte, und ließ mich von ihr wie eine Schlafwandlerin zurück zum großen Parkplatz führen.
So kehrte ich also doch noch einmal zurück in die Welt, die mir soviel bedeutete. Und dort sollte ich töten, was ich liebte.
33 - GREGOR
Nein, Pia, ich kann es nicht tun.«
Als wir die Grenze der Stadt erreicht hatten, brach es aus mir heraus. Pia sah mich nur mit bitterem Lächeln an. Das fahle Licht des Mondes ließ ihre kleinen, spitzen Eckzähne schimmern.
»Ludmilla, du musst , sonst stirbst du. Und Michael und Linda sind ohnehin so gut wie tot. Wenn du es nicht tust, macht es eine andere Schwester.«
»Aber sie sollen nicht durch meine Hand sterben, Pia. Das ist zuviel verlangt. Ich habe nur noch eine letzte Bitte an dich. Fahr mich zum Professor. Ich will mich von ihm verabschieden, und dann verlasse ich die Stadt.«
Pia schüttelte den Kopf.
»Ludmilla, sie finden dich. Und ich kann dich nicht so einfach gehen lassen. Man wird mich
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