Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
blutrote Träne von der Wange und sagte: »Ich hatte dich gewarnt. Sie machen einem nur Ärger. Und manchmal brechen sie uns das Herz. Setz dich hin und erzähl mir das ganze noch mal ganz in Ruhe, meine kleine Schwester.«
Als ich geendet hatte, stand sie auf und zog mich ebenfalls hoch.
»Du mu sst hier weg. Bis wir nicht wissen, was die Behörden erfahren haben und ob dein Name gefallen ist, kannst du hier nicht bleiben. Wir gehen in den Wald. Ins Haus der Schwestern. Vielleicht ist Var da. Sie wird wissen, was zu tun ist. Schnell, wir müssen uns beeilen.«
Eine Minute später verließen wir gemeinsam das Gebäude. Ein zufällig vorbeikommender Passant hätte zwei junge Frauen gesehen, die schnellen, entschlossenen Schrittes die Straße hinabeilten. Vielleicht hätte er noch einen Moment hinterhergeschaut, denn schließlich sahen die beiden nicht schlecht aus. Er hätte sich wohl ziemlich gewundert, da ss sich die beiden Frauen auf einmal in Luft aufzulösen schienen und nur ein paar trockene Blätter von einem plötzlichen Windstoß durcheinandergewirbelt wurden.
32 - DER BEFEHL
Stunden später waren wir auf dem Weg durch den Wald. Über uns zogen Fledermäuse hektisch ihre Kreise. Irgendwo schrie ein Käuzchen. Als wir den verwilderten Teil des Gebietes betraten, spürte ich sofort die Nähe meiner Schwestern. Ich hatte gelernt, ihre Signale zu empfangen, sofern sie sich nicht abschotteten. Es war wie ein dunkles Raunen, das den ganzen Urwald erfüllte. Unhörbar für menschliche Ohren, sehr deutlich für meinesgleichen. Pia sagte nichts. Entschlossen bahnte sie sich ihren Weg durchs Unterholz. »Pia«, flüsterte ich. »Ich spüre sie. Sind denn immer welche von uns hier?«
»Kommt darauf an«, antwortete Pia. »Var ist oft hier. Und wenn, dann sind immer ein paar Schwestern bei ihr und sichern das gesamte Areal. Du wirst sie gleich sehen.«
Und tatsächlich. Nach wenigen Sekunden tauchten plötzlich zwei Gestalten aus der Dunkelheit auf.
Pia sprach sofort: »Wir sind es, Pia und Ludmilla. Wir brauchen den Schutz der Schwestern.«
»Kommt«, sagte die eine der beiden Gestalten. »Var und Dinah sind im Gewölbe. Folgt euch jemand?«
»Nein, ausgeschlossen«, antwortete Pia und zog mich mit in Richtung des geheimnisvollen Hügels mit der verborgenen Tür. Die beiden Frauen blieben im Wald zurück. Wachsam, wie Hunde, die das Haus ihrer Herrin beschützen. Als wir die unterirdischen Gemäuer betraten, spürte ich sofort Vars Nähe. Angst kroch in mir hoch. Hatte ich einen unverzeihlichen Fehler begangen?
Dann, als wir der Biegung eines Gangs folgten, standen sie plötzlich vor uns: Var, die Herrin der Vampire, und Dinah, ihre grausame Generälin. Die Luft um sie herum schien zu flimmern.
»Ludmilla, Pia«, sagte Var und hob eine ihrer klauenbewehrten Hände. »Was führt euch her? Gibt es Probleme?«
»Ja«, sagte ich, um nicht Pia gänzlich die Initiative zu überlassen.
»Das dachte ich mir, da ss es mit dir Probleme gibt«, sagte Dinah und lächelte kalt.
Var bedachte sie mit einem kurzen mi ssbilligenden Blick.
»Kommt in den Versammlungsraum«, befahl sie.
Wir schritten durch die unterirdischen Gänge. Die Atmosphäre war gespenstisch und gleichzeitig seltsam beruhigend. Hier in der diffusen Dunkelheit des uralten Gewölbes galt nur das Gesetz der Vampire. Flackerndes Kerzenlicht erhellte den Versammlungsraum. Wir setzten uns an den Tisch, und ich begann zu erzählen.
Var und Dinah hörten schweigend zu. Als ich geendet hatte, flüsterte Var Dinah etwas ins Ohr. Diese stand auf und sagte: »Pia – du wirst in die Stadt gehen und herausfinden, was diese Frau den Behörden erzählt hat und wie es dem Polizisten geht. Dann kommst du zurück und berichtest. Danach entscheiden wir. Ludmilla wird solange hierbleiben.«
Var erhob sich und verließ den Raum. Ich fühlte eine Mischung aus Schmerz, Wut und Liebe, als sie an mir vorbeiging.
Dinah stand mit versteinertem Gesicht vor uns. »Du kannst froh sein, da ss die Oberin einen Narren an dir gefressen hat, Ludmilla«, zischte sie. »Ich hätte dich längst für deine Dummheiten bestraft und in der Kammer verrotten lassen.«
Dann verschwand auch sie.
Pia erschauerte, nahm meine Hand und sagte: »Lass sie reden. Sie kann dir nichts tun. Noch nicht. Ich werde bald zurücksein. Komm, ich bringe dich in eines der Zimmer.«
Sie führte mich durch einen kleinen Seitengang und öffnete eine Tür.
Dahinter befand sich ein kleiner Raum mit einem
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