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Nachte des Sturms

Nachte des Sturms

Titel: Nachte des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
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konzentriert die Stirn und bemühte sich, den richtigen Ton anzuschlagen.
    »Wenn ich nachts alleine bin und der Mond lautlos weint,
weiß ich, alles hätte Sinn, wären wir endlich vereint.
Ohne dich mein Herz nur von Erinnerungen lebt,
Du, nur du bist in Gedanken nachts bei mir, solange der Mond am Himmel schwebt.«
    Sie brach ab und seufzte, da niemand sie hörte, leise schmachtend auf. Wie die Texte aller seiner Lieder rührte auch dieser Text sie an. Nur ging es diesmal etwas tiefer, nur klang es diesmal etwas wahrer.
    Die Tränen des Mondes, dachte sie. Die Perlen, die Lady Gwen zurückgewiesen hatte. Eine Liebe, die um Gegenliebe flehte, doch keine Erwiderung erfuhr.
    »Ach, Shawn, das ist so entsetzlich traurig. Was ist nur in dir, das dich zum Verfassen derart einsamer Musik bewegt?«
    So gut sie ihn auch kannte, wusste sie doch keine Antwort auf diese Frage. Doch sie hätte die Antwort gern gehabt, hätte gern endlich den Schlüssel in der Hand gehalten, um ihn zu verstehen. Doch er war weder ein Motor noch eine Maschine, die man einfach auseinander nehmen konnte. Männer waren komplizierter und somit wesentlich frustrierender.
    Es war sein Geheimnis und, so nahm sie an, die Wurzel seines Talents. Alles, was er tat, tat er in seinem Inneren, auf eine geheimnisvolle Art. Wohingegen sie … sie sah auf ihre kleinen sehr geschickten Hände. Alles, was sie tat, war so entsetzlich simpel.
    Nun, wenigstens setzte sie ihre Fähigkeiten vernünftig ein, zumindest verdiente sie mit ihnen ihren Lebensunterhalt. Was hingegen tat Shawn Gallagher mit seiner großen Gabe außer herumzusitzen und zu träumen? Hätte er
auch nur eine Spur von Ehrgeiz oder wäre wirklich stolz auf seine Arbeit, würde er seine Lieder verkaufen, statt sie nur zu schreiben und in Pappkartons zu sammeln.
    Der Mann brauchte einen kräftigen Tritt in den Hintern dafür, dass er dieses von Gott gegebene Talent derart vergeudete.
    Aber den, so dachte sie, verpasste sie ihm besser an einem anderen Tag. Heute hatte sie auch so bereits mehr als genug zu tun.
    Sie wollte gerade aufstehen und nach ihrer Werkzeugkiste greifen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrzunehmen glaubte. Sie richtete sich kerzengerade auf, völlig entsetzt bei dem Gedanken, Shawn sei zurückgekommen  – schließlich vergaß der Kerl mit schöner Regelmäßigkeit etwas – und hätte sie beim Spielen eines seiner Lieder überrascht.
    Aber es war nicht Shawn, der in der Tür stand.
    Die Frau hatte goldenes Haar, das in langen Wellen über ihre Schultern auf ein schlichtes, bodenlanges, graues Kleid fiel. Ihre Augen waren von einem hellen, sanften Grün und ihr Lächeln war so traurig, dass es einem das Herz zu brechen drohte.
    Erkennen, Entsetzen und eine beinahe Schwindel erregende Erregung wallten gleichzeitig in Brenna auf. Sie öffnete den Mund, doch was auch immer sie hatte sagen wollen, kam einfach nicht heraus.
    Mit klopfendem Herzen und zitternden Knien setzte sie noch einmal an. »Lady Gwen«, stieß sie schließlich krächzend aus. Sie fand es bewundernswert, dass sie angesichts der Begegnung mit einem dreihundert Jahre alten Geist überhaupt etwas herausbrachte.
    Eine einzelne, silbrig schimmernde Träne rann über die Wange der uralten, doch gleichzeitig immer noch jungen
Frau. »Er hat sein Herz in dieses Lied hineingelegt.« Obgleich ihre Stimme samtig weich und lieblich war, rann bei ihrem Klang ein Schauder durch Brenna hindurch. »Hör also gut hin.«
    »Was –« Doch ehe Brenna die Frage aussprechen konnte, war sie wieder allein. Einzig der schwache Duft von wilden Rosen, von dem der Raum mit einem Mal erfüllt war, erinnerte noch an den Geist.
    »Tja, dann. Tja.« Sie musste sich setzen, also ließ sie sich nochmals auf die Klavierbank sinken. »Tja«, wiederholte sie und atmete mehrmals tief ein, bis sich das Klopfen ihres Herzens allmählich beruhigte.
    Als sie glaubte, ihre Beine wären wieder stark genug, um sie zu tragen, stand sie langsam auf. Am besten würde sie jemand Weisem, Vernünftigem, Verständnisvollem von der Begebenheit erzählen. All diese Eigenschaften besaß Mollie, ihre Mutter.
    Auf der kurzen Fahrt nach Hause beruhigte sie sich zusehends. Das O’Toolesche Haus stand etwas abseits von der Straße. Es war ein aus diversen Komponenten zusammengewürfeltes Gebäude, an dessen Errichtung sie nicht unerheblich mitgewirkt hatte. Immer wenn ihrem Vater die Idee zu einem neuen Anbau in den Kopf kam, freute sie sich darüber, mit

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